Wolf Huber

Kopf eines Greises mit wehendem Bart, 1522

Der „Greis mit wehendem Bart“ gehört zu einer Reihe von elf grotesken Kopfstudien, die wohl 1968 zusammen mit anderen altdeutschen Zeichnungen in einem Klebeband der ehemaligen Ratsbibliothek, heute Staats- und Universitätsbibliothek, als Dauerleihgabe dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle übergeben wurden. Alle Blätter tragen das Monogramm Hubers und sind bis auf ein Blatt mit der Jahresangabe 1522 datiert. Insgesamt 15 dieser physiognomischen Studien sind von Huber bekannt. Sie alle bestechen durch den leuchtend ziegelrot gefärbten Grund – eine Färbung auf dem Recto und Verso, die durch das Eintauchen des Blattes in eine wässrige Farblösung erreicht wurde – und die mit lebhaft bewegten, oft kräuselnden Strichen gezeichneten Charakterisierungen der teils grobschlächtigen Typen. Entgegen der bisher in der Literatur verbreiteten Annahme, es handele sich um Kreidezeichnungen, sind die Hamburger Köpfe – wie eine Untersuchung unter dem Mikroskop ergeben hat – mit einem Kohlestift ausgeführt.(Anm.1)
Wolf Stubbe hat 1970 auf Grund der Vergleiche mit den verwandten Kopfstudien in Berlin, Dresden, Erlangen und New York die Blätter als Kopien nach Huber be-zeichnet, worin ihm Gisela Hopp 1983 im Hamburger Ausstellungskatalog noch folgte. Inzwischen hat sich jedoch Winzingers entschiedene Zuschreibung an Huber durchgesetzt, der einzig die 1546 datierte Zeichnung des „Mann mit Pelzkappe“ (Inv.-Nr. 1975-23) als Kopie des Erlanger Blattes abschrieb, so dass die Hamburger Sammlung mit zehn Blättern den umfangreichsten Bestand grotesker Köpfe besitzt. Die zahlreichen zeitgenössischen Kopien nach Huber beweisen jedoch den Zuspruch, den seine eigenständigen Studien schon damals fanden.(Anm.2)
Die oft ins karikaturhaft gesteigerten Physiognomien haben Huber als Typenvorrat für unterschiedlichste Charaktere in seinen Gemälden gedient. So findet sich der Hamburger „Greis mit wehendem Bart“ (Inv.-Nr. 1975-30) in dem 1523–1525 entstandenen Tafelbild der „Kreuzaufrichtung“ in der Gestalt des Soldaten zu Pferde wieder.(Anm.3)

Peter Prange

1 Ich danke Georg Dietz, Stuttgart, der im Rahmen eines Praktikums in der Restaurierungswerkstatt für Graphik in der Hamburger Kunsthalle die Zeichnungen Hubers 2006 einer genauen Autopsie unterzogen hat. Georg Dietz bereitet eine Diplomarbeit über Zeichenmaterialien der Dürerzeit an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Studiengang Restaurierung und Konservierung von Graphik, Archiv- und Bibliotheksgut vor. Auch Joseph Meder: Die Handzeichnung – ihre Technik und Entwicklung, Wien 1919, S. 106, erwähnt mit Kohle gezeichnete Köpfe von Huber aus dem Jahre 1522.
2 Vgl. auch eine Baldung Grien zugeschriebene Zeichnung nach demselben Modell in New York, Metropolitan Museum of Art, vgl. Hans Baldung Grien. Prints and Drawings, Ausst.-Kat. Washington 1991, S. 225, Nr. 57, Abb. Die Zuschreibung des Blattes an Baldung lässt sich kaum aufrechterhalten, denn es ist nicht vorstellbar, dass beide Künstler dasselbe Modell hatten oder dass Baldung nach Huber kopierte. Auch das New Yorker Blatt dürfte dem Umkreis Hubers angehören.
3 Wien, Kunsthistorisches Museum, Inv.-Nr. 921, vgl. Winzinger 1979, S. 178–179, Nr. 291.

Nachtrag:
Vgl. den Beitrag von Erwin Pokorny in Master Drawings 2021, der eine motivisch gleiche Zeichnung im Metropolitan Museum in New York diesem Blatt als neu erkanntes Werk Hubers zur Seite stellt, das bislang Hans Baldung zugeschrieben wurde; Pokorny 2021, S. 439, Abb. 9.
Andreas Stolzenburg (28. 4. 2022)

Details zu diesem Werk

Schwarze Kohle auf ziegelrot gefärbtem Papier, mit weißer Kreide gehöht 273mm x 198mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1975-22 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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