nach Annibale Carracci, Maler
Stefano della Bella, Zeichner

Ein liegender kranker Mann; Oberkörper eines stehenden Mannes in Rückenansicht

Das Recto zeigt zwei Detailkopien aus Annibale Carraccis um 1595 vollendetem Gemälde „Der Hl. Rochus verteilt Almosen“.(Anm. 1) Das heute in Dresden befindliche Gemälde zählt zu den Hauptwerken des Künstlers und fand in mehreren Nachstichen Verbreitung.(Anm. 2)
Die beiden Figuren befinden sich auf dem Gemälde links. Della Bella hat sie aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gelöst und ergänzt; so zeigt er z. B. das linke Bein des Kranken, das auf dem Gemälde nicht dargestellt ist.
Obgleich die Figuren seitengleich zum Gemälde erscheinen, ist es unwahrscheinlich, dass della Bella das seit 1595 in S. Prospero in Reggio Emilia befindliche Werk vor Ort gesehen und kopiert hat. Die sorgfältige Anlage der Zeichnung und vor allem die Kreuzschraffen legen vielmehr eine Kopie nach einem Kupferstich nahe. Hierfür kommt am ehesten ein Guido Reni versuchsweise zugeschriebener Stich in Frage, der 1610 von Stefanoni in Rom gedruckt worden ist.(Anm. 3) Für diese Vorlage sprechen auch die zeitnahe Entstehung sowie die Seiten-gleichheit.(Anm. 4)
Eine Zuschreibung des Blattes an della Bella ist insofern problematisch, als eine derart penible und weitgehend uneigenständige Auseinandersetzung mit einer Vor-lage für ihn sehr selten nachweisbar ist. Denkbar ist jedoch, dass es sich um eine Studie aus der Frühzeit des Künstlers handelt. In jedem Fall ist es eines der sehr seltenen Beispiele für eine Nachzeichnung nach einem Werk der großen Bologneser Maler wie den Carracci, Reni oder Domenichino.
Die Zuschreibung an della Bella wird vor allem durch die Analyse des Versos ge-stärkt. Dort zeigen sich zwei technisch ganz unterschiedliche Studien, die aber beide – anders als die Zeichnung auf dem Recto – eindeutig mit gesicherten Werken des Künstlers in Verbindung gebracht weden können. Charakteristisch für della Bella ist etwa die Studie mehrerer Frauen aufgrund der lockeren, zum Teil aufgebrochenen Konturführung. Typisch ist zudem der Entwurf eines Degenknaufes, der sich bestens mit zahlreichen derartigen Studien des Künstlers vergleichen lässt (nähere Angaben vgl. Inv.-Nr. 1967-76).

David Klemm

1 Vgl. Donald Posner: Annibale Carracci, 2 Bde., London 1971, II, Nr. 86, 86 a.
2 Vgl. Annibale Carracci e i suoi incisori, hrsg. von der École française de Rome, Ausst.-Kat. Palazzo della Farnesina Rom, Rom 1986, S. 65–68.
3 Ebd., S. 65.
4 Mehrere der Nachstiche sind seitenverkehrt, wodurch sie als Vorlage entfallen. Von den seitengleichen Nachstichen ist besonders ein Stich des Franzosen Nicolas Cochin von Interesse. Von ihm ist bekannt, dass er für Stefano della Bella während dessen Pariser Zeit gearbeitet hat. Dennoch sprechen die im Gegensatz zum Reni-Stich deutlich gröbere Ausführung und die spätere Entstehung gegen eine Übernahme durch della Bella.



verso:

4 Studienblatt mit drei Frauen; Degengriff


Die beiden linken Figuren stehen möglicherweise mit einer „Auffindung des Mosesknaben“ in Zusammenhang. Die rechte Figur erinnert in ihrer leicht geneigten Haltung und den vor der Brust verschränkten Armen an eine Maria aus einer Verkündigung. Eine Umsetzung dieser Darstellungen in eine Radierung ist nicht nachweisbar.
Typisch für della Bella ist die kleine Studie eines Degenknaufes. Derartige Entwürfe mit Tierköpfen – in diesem Fall ist es ein Schafskopf – finden sich in seinem Œuvre häufig (vgl. zu diesem Sujet Kat.-Nr. 307).

David Klemm

Details zu diesem Werk

Feder in Braun 134mm x 237mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1967-83 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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