Stefano della Bella

Studienblatt mit grotesken Masken in Vorderansicht und einem figürlichem Kapitell

Groteske Köpfe finden sich vor allem in der achtteiligen Serie „Frieses, feuillages et grotes-ques“, die 1642–43 entstanden ist (de Vesme/Massar 979–986).(Anm. 1) Auf diesem Studienblatt diente der linke untere Kopf als seitenverkehrte Vorlage für de Vesme/Massar 983 (Anm. 2) unten rechts bzw. für den unteren mittleren Kopf auf de Vesme/Massar 985.(Anm. 3) Allerdings wurden jeweils noch die Umrahmungen verändert. Darüber hinaus lassen sich für verschiedene Köpfe motivisch ähnliche Umsetzungen auf Radierungen nachweisen. So erinnert z. B. der linke Kopf in der zweiten Reihe an den Kopf unten rechts auf de Vesme/Massar 982; das Motiv des weit aufgerissenen Mundes mit der langen Zunge von de Vesme/Massar 982 zeigt auch ein Kopf oben links auf der Zeichnung.(Anm. 3)
Weitere Beispiele dieser Kopfstudien befinden sich in Paris(Anm. 4), Washington(Anm. 5) und Berlin(Anm. 6).
Als wesentlicher Unterschied der Hamburger Studien zu den Radierungen ist das Fehlen der verbindenden Girlanden zu benennen. Diese finden sich dagegen auf einem Blatt der ehemaligen Sammlung Ratjen (Anm. 7). Dort erscheinen viele der später auf den Radierungen verwendeten Köpfe, zum Teil bereits mit Girlanden versehen.
De Vesme/Massar wiesen zurecht darauf hin, dass Bella zu diesen Studien direkt von Agostino Mitelli angeregt worden sein dürfte.(Anm. 8) Dessen Folge „Disegni et Abbozzi“ erschien 1642 zunächst bei Rossi in Rom und im gleichen Jahr in Paris, so dass sie della Bella mit großer Wahrscheinlichkeit gekannt hat. Vor allem die grotesken Köpfe Mitellis haben della Bella beeindruckt – so finden sich bei diesem die seltsam verzerrten Gesichter mit großen Mündern, langen Kiefern und Zungen sowie die verformten Ohren. Trotz vieler Ähnlichkeiten handelt es sich keineswegs um Kopien, sondern um Variationen der von Mitelli geprägten Typen. Versucht man, das erhaltende Studienmaterial zu ordnen, so könnte das Hamburger Blatt eine frühe Auseinandersetzung mit den Vorlagen dokumentieren. Insgesamt wirken die Studien zwar sicher ausgeführt, aber auch wenig inspiriert. Die für Bella so typische zeichnerische Vibration ist hier allenfalls ansatzweise spürbar. Auf dem Ratjen-Blatt ist eine deutlich stärkere Kreativität erkennbar.
Abgesehen von diesen Studien und den damit verbundenen Radierungen hat sich della Bella selten mit derart grotesken Erscheinungsformen des Menschen auseinandergesetzt.

David Klemm

1 Alexandre de Vesme, Phyllis Dearborn Massar: Stefano della Bella. Catalogue Raisonné, Alexandre de Vesme with Introduction and Additions by Phyllis Dearborn Massar, New York 1971, Bd. I, Nr. 979-986.
2 Ebd., Nr. 983.
3 Ebd., Nr. 982.
4 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 384-1, vgl. Dessins de Stefano della Bella 1610-1664. Musée du Louvre, Cabinet des dessins. Inventaire général des dessins italiens, Bd. 2., bearb. v. Françoise Viatte, Paris 1974, S. 109–110, Nr. 153; diese Studie diente als Vorzeichnung für einen Kopf auf der Radierung de Vesme/Massar 983; die Studien sind deutlich lebendiger als auf dem Hamburger Blatt ausgeführt.
5 Washington, National Gallery of Art, Sammlung List R 648; vgl. Fünfzig italienische Zeichungen des 16.-19. Jahrhunderts aus der Sammlung Ratjen, bearb. v. David Lachenmann, Ausst.-Kat. Vaduz, Liechtensteinische Staatliche Kunstsammlungen, Bern 1995, S. 114, Nr. 51 mit Abb.
6 Berlin, Staatliche Museen, Kunstbibliothek HdZ 2404/126.
7 Washington, National Gallery of Art, Sammlung List R 648.
8 de Vesme/Massar 1971, Bd. I, S. 153.

Auf dem Verso:
Studienblatt mit von geflügelten Helmen bekrönten Kartuschen
Die Zeichnung zeigt sehr skizzenhaft Studien für Tropaions-Darstellungen. Erkennbar sind mehrere Helme bzw. Rüstungsteile, die della Bella mit Tieren, dem Medusenhaupt (?) und ansatzweise auch mit Ornamenten dekoriert hat. Diese Studien sind sicherlich von Polidoro da Caravaggios damals berühmten Vorbildern an römischen Palästen, vor allem am Palazzo Milesi, beeinflusst.(Anm. 1)
Della Bella hatte vor allem in seiner frühen römischen Zeit einzelne Details dieser Kompositionen studiert.(Anm. 2) Die vorliegende Zeichnung fällt im Vergleich dazu deutlich abstrakter aus.
Möglicherweise handelt es sich um frühe Ideenskizzen für Radierungen, bei denen della Bella Kartuschen mit Teilen von Rüstungen verbunden hat.(Anm. 3) Sehr ähnlich ist die oben in der Mitte gezeichnete Panzerung mit einer Art Medusenhaupt (?) mit einer Darstellung auf einem Fries (de Vesme/Massar 992) der 1647–48 erschienenen Folge „Ornamenti di fregi e fogliami (de Vesme/Massar 987–1002).(Anm. 4)

1 Vgl. Lanfranco Ravelli: Polidoro Caldara da Caravaggio. I. Disegni di Polidoro II. Copie da Polidoro, Monumenta Bergomensia XLVIII, Mailand 1978, S. 441–449.
2 Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv.-Nr. 5973 S, Inv.-Nr. 5972 S, Inv.-Nr. 5967 S, Inv.-Nr. 5998 S, Inv.-Nr. 5969 S. Vgl. Ravelli 1978, S. 482–83, Nr. 997–1001.
3 Vgl. z. B. de Vesme/Massar 1015, 1029, 1030.
4 Ebd. Nr. 992; Nr. 987-1002.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun 127mm x 241mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1967-82 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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