Stefano della Bella

Reiter im Profil nach links im Gespräch mit einem vor ihm stehenden Mann

Im zeichnerischen Œuvre della Bellas nehmen Darstellungen von Soldaten und vom Lagerleben einen großen Raum ein. Eine genaue Zuordnung ist aufgrund der sehr ähnlichen Kleidung der Figuren nicht immer einfach. Die im Folgenden aufgeführten Zeichnungen bilden in sich eine stilistisch und motivisch weitgehend homogene Gruppe. Sie werden daher auch von den wohl früher entstandenen Blättern (vgl. Inv.-Nrn. 1967-89,1967-181, -182, -184) getrennt behandelt.
Ein größerer Teil dieser Zeichnungen entstand wohl um 1640, als Stefano della Bella sich offensichtlich erstmals intensiv mit kriegerischen Ereignissen auseinandersetzte. Damals hatte er von Kardinal Richelieu (1585–1642) den Auftrag erhalten, eines der wichtigsten militärischen Ereignisse der damaligen Zeit zu dokumentieren. Es handelte sich um die Belagerung der von den Spaniern besetzten flandrischen Stadt Arras durch die französischen Truppen.(Anm. 1) Die erfolgreiche Einnahme der Stadt stellt nicht nur einen Höhepunkt der politischen Karriere Richelieus dar, sie markiert einen entscheidenden Schritt hin zur europäischen Großmachtstellung Frankreichs.
Es spricht für della Bellas Renommee, dass er diesen Auftrag bereits als junger Künstler erhielt. Mit der 1641 veröffentlichten Radierung (de Vesme/Massar 880) erfüllte der Künstler die in ihn gesetzten Erwartungen auf eindrucksvolle Weise.(Anm. 2)
Es verwundert kaum, dass della Bella diesen Auftrag mit großer Akribie vorbereitete. Da es sich fast ausschließlich um einen Stellungskrieg handelte, dokumentieren seine Studien vornehmlich den Alltag der Soldaten im Lager, während Kampfszenen nur selten nachweisbar sind. Della Bella fertigte zahlreiche Studien an, um der von ihm erwarteten anspruchsvollen und vielfigurigen Darstellung des Ereignisses ein Höchstaß an Authentizität zu geben.
Auffallend bei den Hamburger Blättern dieser Gruppe ist, dass sie relativ sorgfältig ausgeführt sind. Dies verdeutlicht vor allem ein Vergleich mit den im Louvre bewahrten Zeichnungen.(Anm. 3) Diese Einzelstudien für Truppen, Gepäckwagen, Frauen aus Arras und andere Sujets sind insgesamt zumeist etwas skizzenhafter angelegt als die Hamburger Blätter; man vergleiche z. B. den auf einem Pferd sitzenden Mann auf einem der Pariser Blätter (Anm. 4) mit der Gestaltung der Inv.-Nr. 1967-209 des Hamburger Klebebandes. Dies spricht dafür, dass die Pariser Skizzen tatsächlich vor Ort ausgeführt worden sind. Dagegen dürften die Hamburger Blätter allenfalls im Lager grob skizziert, dann aber in Paris genauer ausgeführt worden sein. Mit diesem Studienmaterial hat della Bella dann die Radierung komponiert, wobei er vereinzelt kleinere Veränderungen vorgenommen hat.
Selbstverständlich kannte della Bella die großen Vorbilder für derartige Aufgaben: Jacques Callots Darstellungen der „Belagerungen von Breda, der Insel Ré und La Rochelle“. Eine Zeichnung in Wien belegt, dass er Figuren aus der „Belagerung von Breda“ kopiert hat.(Anm. 5) Della Bella hat sich im Wesentlichen an diese großartigen Radierungen Callots angelehnt, wobei ihm angesichts der Aufgabenstellung wenig Möglichkeit zu einer innovativen Darstellung gegeben waren. Dass seine Interpretation des Ereignisses, wie Dorit Schäfer feststellte, deutlich weniger kriegerisch ausfiel (Anm. 6), lag wohl nicht nur am wenig aktionsreichen Stellungskrieg, sondern auch an della Bellas weniger ausgeprägtem Interesse an grausamen Kampfszenen.
Im Folgenden werden diejenigen Zeichnungen des Hamburger Klebebandes zusammengestellt, die sich mit Wahrscheinlichkeit mit Studien zur „Belagerung von Arras“ in Verbindung bringen lassen. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass die eine oder andere dieser Zeichnung auch im Zusammenhang mit einer der anderen von della Bella radierten Belagerungsszenen entstanden sein könnte.
Aufgrund der nicht eindeutig militärischen Ausrichtung der Studien zur „Belagerung von Arras“ ist auch denkbar, dass della Bella einige der Studien auf einem Markt skizziert hat.

Zu Inv.-Nr. 1967-208: Ein sehr ähnlicher Reiter mit identischer Haltung, etwas lockerer skizziert und ohne den vor ihm stehenden Mann, zeigt eine Zeichnung in München.(Anm. 7)

David Klemm

1 Vgl. zum Folgenden Stefano della Bella. Ein Meister der Barockradierung, mit Beiträgen von Jessica Mack-Andrick, Dorit Schäfer, Angela Vollmer, Ausst.-Kat. Kunsthalle Karlsruhe 2005, S. 164–165.
2 Alexandre de Vesme, Phyllis Dearborn Massar: Stefano della Bella. Catalogue Raisonné, Alexandre de Vesme with Introduction and Additions by Phyllis Dearborn Massar, 2 Bde., New York 1971, Bd. I, Nr. 880.
3 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nrn. RF 23525; 315-2; 353-6; 354-7, 354-8; 355-2; 355-5; 355-8; 355, 7; 378-6; 355-6; 343-5; 307-1; 318-3; 304-5; 378-5; vgl. Dessins de Stefano della Bella 1610-1664. Musée du Louvre, Cabinet des dessins. Inventaire général des dessins italiens. Bd. 2., bearb. v. Françoise Viatte, Paris 1974, S. 79-84, Nr. 101–116.
4 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 355-2; vgl. Viatte 1974, S. 84, Nr. 106.
5 Wien, Albertina, Grafische Sammlung, Inv.-Nr. 11294; vgl. Veronika Birke, Janine Kertész: Die italienischen Zeichnungen der Albertina. Generalverzeichnis, Bd. III (Inv. 2401-14325), Veröffentlichungen der Albertina Bd. 35, Wien, Köln, Weimar 1995, S. 1732.
6 Ausst.-Kat. Karlsruhe 2005, S. 165.
7 München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 1918:224, S. 40.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun über schwarzem Stift 80mm x 78mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1967-208 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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