Stefano della Bella

Schiffsbug mit Tierkopf

Diese und die folgende Zeichnung zeigen besondere Formen von Schiffsverzierungen. Die mit großer Wahrscheinlichkeit geschnitzten Köpfe stellen Wildschweine dar. Die Köpfe sind geschickt mit dem gebogenen Holz der Schiffe verbunden und bieten mit ihrer Mischung aus bedrohlichem und groteskem Äußeren eine wirkungsvolle Dekoration. Derartige Verzierungen am Bug oder Heck von größeren Schiffen sind auf Darstellungen toskanischer Schiffe des 16. und 17. Jahrhunderts nicht erkennbar. Die von della Bella mit Vorliebe gezeichneten Schiffe des Stephanus-Ordens weisen diesbezüglich nicht einmal Galionsfiguren auf.
Die niedrige Kiellinie lässt vermuten, dass es sich um kleinere Schiffe handelt. Ein derartiger Schmuck ist für ein Kriegs- oder Handelsschiff von solcher Größe aber unwahrscheinlich. So ist denkbar, dass hier Studien nach oder Entwürfe für Schiffe oder Boote vorliegen, die bei festlichen Veranstaltungen besonders aufwendig geschmückt worden sind.
Eine interessante Verbindung lässt sich zu einer neunzehnteiligen Stichserie von della Bellas Lehrer Remigio Cantagallina herstellen.(Anm. 1) Diese Folge erinnerte an ein großes Fest, das aus Anlass der Hochzeit von Cosimo Medici, Prinz der Toskana, mit Maria Magdalena von Österreich 1608 auf dem Arno mit zahlreichen aufwendig geschmückten Schiffen veranstaltet worden war. So finden sich z. B. auf der Radierung mit der Darstellung eines Bootes mit dem Thema „Meleager und Tydeus“ sowohl am Heck als auch am Bug Schweinsköpfe.(Anm. 2) Vor allem die Lösung am Heck erinnert an della Bellas Zeichnungen. Auch auf dem Blatt mit einer Darstellung der „Atalanta-Geschichte“ ist ein Schweinskopf am Boot erkennbar.(Anm. 3) Auf anderen Blättern hat Cantagallina weitaus phantasievollere Gestalten – etwa Chimären und Meeresungeheuer – verarbeitet.(Anm. 4) Im Vergleich wirken della Bellas Ideen zwar weniger phantasievoll, sie sind aber homogener mit dem Schiffskörper verbunden.
Ohne Frage ist auch die Antike als Quelle derartiger Schiffsverzierungen in Betracht zu ziehen. Della Bella radierte selbst eine Szene mit antiken Booten, von denen eines einen Pferdekopf als Verzierung aufweist.(Anm. 5) Noch besser vergleichbar ist ein antikes Relief auf Sebastiano del Piombos Porträt des Genueser Feldherrn Andrea Doria (Anm. 6); es zeigt im unteren Bereich ein der Antike nachempfundenes oder kopiertes Relief mit einer Darstellung eines Schiffs mit Wildschweinkopf. Besonders interessant ist, dass auch dort unterhalb des Tieres drei lange, spitze Klingen aus dem Bug herausragen. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass della Bella auch von römischen Vorlagen inspiriert worden ist.

David Klemm

1 The Illustrated Bartsch 44 (20) 20–38 (62–63). Die Graphiken wurden nach Entwürfen von Giulio Parigi gestochen.
2 The Illustrated Bartsch 44 (20), 25 (62).
3 Ebd., 24 (62).
4 Beispielsweise ist auf einem Schiff mit dem Namen „Herkules“ am Heck ein vielköpfiger Cerberus angebracht. Vgl. The Illustrated Bartsch 44 (20), 38 (63).
5 Alexandre de Vesme, Phyllis Dearborn Massar: Stefano della Bella. Catalogue Raisonné, Alexandre de Vesme with Introduction and Additions by Phyllis Dearborn Massar, 2 Bde., New York 1971, Nr. 203.
6 Rom, Galleria Doria Pamphilj, ohne Inv.-Nr.; vgl. Eduard A. Safarik: Galleria Doria Pamhilj, Masterpieces, Paintings, Florenz 1993, S. 18–19.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun über schwarzem Stift 60mm x 53mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1967-144 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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