Stefano della Bella

Der Tod wirft eine Frau kopfüber in eine Grube (Der sechste Tod), um 1600

Der Florentiner Stefano della Bella zählt zu den großartigsten Zeichnern des 17. Jahrhunderts. Mit nahezu 300 Blättern verfügt das Kupferstichkabinett über den drittgrößten Bestand seines zeichnerischen Œuvres. Della Bella vereint italienische, französische und holländische Einflüsse zu einem unverwechselbaren Stil, der sich durch virtuose Federtechnik und frische Beobachtungsgabe gerade der alltäglichen Dinge auszeichnet. Besonders eindrucksvoll gelangen ihm allegorische Darstellungen des Todes. Sie stellen in ihrer packenden Realistik, bei gleichzeitiger Einbindung in die makabren und bizarren Elemente des barocken Dramas, ergreifende Todesvisionen dar. Die vorliegende Zeichnung zeigt den Tod bei der Ausübung seines grauenvollen Amtes: Unerbittlich stößt er eine offenbar noch junge Frau in eine Grube. Derartige Blätter wirken wie ein künstlerisches Vermächtnis della Bellas, der während der Arbeit an der Umsetzung seiner Entwürfe in Radierungen verstorben sein soll.

David Klemm
Della Bella befasste sich spätestens seit Mitte der 1640er Jahre intensiv mit allegorischen Todesdarstellungen. Insgesamt sind mindestens sieben verschiedene Kompositionen bekannt, von denen vier am Ende von della Bellas Paris-Aufenthalt vollendet und spätestens Anfang der 1650er Jahre gedruckt worden sind.(Anm. 1) Etwa zehn Jahre später griff della Bella das Thema nochmals auf, offensichtlich plante er damals eine zweite Druckfolge mit Todesdarstellungen.
Die beiden Hamburger Zeichnungen Inv.-Nr. 1967-113 und 1967-114 gehören zu dieser um 1660 entstandenen zweiten Gruppe. Sie zeigen den Tod bei der Ausübung seines grauenvollen Amtes. Der Peiniger hat sich jeweils einen Menschen gegriffen, um ihn kopfüber in sein durch ein Erdloch angedeutetes unterirdisches Totenreich zu befördern. Auf Inv.-Nr. 1967-114 wird dieses Opfer von einem weiteren Todbringer, dessen Schädel ansatzweise zu erkennen ist, in Empfang genommen. Auf diese Weise wird deutlich, dass der Mensch keine Chance hat, der Unerbittlichkeit des Todes zu entkommen. Im nächsten Augenblick wird er für immer von der Erde verschwunden sein.
Beide Kompositionen sind in ein Oval eingebunden, wobei die Gruppe von Tod und Mensch jeweils eindeutig den Schwerpunkt bildet. Die architektonischen Hintergründe sind nur andeutungsweise dargestellt. Della Bella skizzierte das gruselige Ereignis mit großer Vehemenz. Deutlich wird dies etwa an zahlreichen Pentimenti und einer Überlagerung verschiedener Strichfolgen. Dies führt bisweilen zu einer starken Verunklärung, so beim Gesicht des Opfers auf Inv.-Nr. 1967-114, bei dem lediglich ein großes Auge erkennbar bleibt. Charakteristisch für della Bella ist die Kombination von brauner Feder und grauer Lavierung.
Die beiden Blätter wurden erstmals 1972 von Françoise Viatte publiziert.(Anm. 2) Sie betrachtete beide Zeichnungen als Vorstudien für die Radierung „Der Tod und das Mädchen“, auch als „Der sechste Tod“ bezeichnet (de Vesme/Massar 92).(Anm. 3)
Zweifelsfrei ist Inv.-Nr. 1967-113 eine Vorzeichnung im Gegensinn für diese Radierung. Sie zeigt in der Komposition der beiden Figuren und in der Gestaltung des Vordergrundes (Schacht und Deckel) hohe Übereinstimmung. Die Druckgraphik blieb von della Bella im 1. Zustand unvollendet. Es fehlen der Hintergrund und die in den Schachtdeckel auf der Zeichnung vermerkte Signatur. Die Platte wurde dann von Giovanni Battista Galestruzzi (1615/18–nach 1669) in zwei weiteren Zuständen wei-ter bearbeitet und veröffentlicht.(Anm. 4)
Der von Viatte vermutete Zusammenhang von Inv.-Nr. 1967-114 mit der Radierung „Der sechste Tod“ erwies sich als irrig, weil 1972 ein bis dahin unbekannter Probedruck in den Uffizien entdeckt wurde.(Anm. 5) Dieser stellt eindeutig eine seitenverkehrte Umsetzung der Hamburger Zeichnung dar. Diese Druckgraphik wurde als „Der Tod und der Mann“ („Der siebte Tod“) bezeichnet. Die Übereinstimmung der jeweiligen Hauptgruppe ist weitreichend. Allerdings hat della Bella zahlreiche Details, die auf der Zeichnung in der für ihn typischen Weise nur angedeutet sind, auf der Radierung ausgearbeitet. Dies betrifft z.B. das Skelett des Todes, dessen Knochen stärker akzentuiert wurden. Wesentlich reicher fällt nun das Gewand aus; viele Details wie der Lorbeerkranz oder der Deckel zum Untergrund sind plastischer herausgebildet. Während etwa in der Zeichnung nur aufgrund des starken Körperbaus zu ahnen ist, dass es sich bei dem Opfer um einen Mann handelt, ist auf der Radierung dessen bärtiges Gesicht deutlich zu erkennen. Völlig unbearbeitet blieb der gesamte Hintergrund.(Anm. 6)
Viatte bezeichnete 1972 die Frage nach der Datierung als unlösbar.(Anm. 7) Sie schwankte zwischen einer Entstehung in der späten Pariser Zeit und den frühen 1660er Jahren. Forlani Tempesti plädierte dagegen für eine Entstehung in der Spätzeit des Künstlers.(Anm. 8)
Kompositionell lassen sich durchaus Entsprechungen zu della Bellas Entwürfen der 1640er Jahre ausmachen. So wies Bellesi darauf hin, dass das Motiv der zurückfallenden Frau auf Inv.-Nr. 1967-113 von della Bellas um 1644 entstandener Spielkarte „Der Sturz des Ikarus” (de Vesme/Massar 510) abgeleitet ist.(Anm. 9) Von einigem Interesse ist in diesem Zusammenhang auch eine bislang unbeachtete Skizze in den Uffizien, die die Komposition von Inv-Nr. 1967-114 in den Grundzügen zeigt.(Anm. 10) Die angedeutete Architektur im Hintergrund verbindet die Studie mit della Bellas Entwürfen der Todesfolge der späten 1640er Jahre und auch die auf dem Recto des Blattes gezeichnete Studie eines Reiters mit Pferd lässt sich mit der noch in Paris entstandenen Folge der „Exotischen Reiter“ verbinden. Es ist also durchaus denkbar, dass della Bella bereits in den späten 1640er Jahren eine aus mehr als vier Teilen bestehende Folge mit Todesdarstellungen konzipierte.
Diese blieb dann aber – nicht zuletzt aufgrund der Abreise des Künstlers aus Paris 1650 – unvollendet. Erst am Ende seines Lebens griff della Bella diese Ideen wieder auf. Offensichtlich fertigte er zunächst eine Radierung mit dem sog. Fünften Tod an (de Vesme/Massar 91).(Anm. 11) Die in den Uffizien (Anm. 12) bewahrte Vorzeichnung lässt sich in motivischer und zeichentechnischer Hinsicht sehr gut mit den beiden Hamburger Blättern verbinden. Alle drei Zeichnungen weisen die charakteristischen Züge des Spätwerks auf, die der Künstler erst nach seiner Rückkehr aus Paris voll entwickelte. Für eine späte Datierung spricht auch, dass die beiden Radierungen nach den Hamburger Blättern nicht mehr von della Bella selbst vollendet werden konnten. Hierzu passt die Bemerkung von della Bellas erstem Biograph Filippo Baldinucci, der überlieferte, dass der Künstler über der Arbeit an den Darstellungen des Todes verstorben sei.(Anm. 13) Diese ergreifenden Werke können daher mit gutem Grund als sein eigentliches künstlerisches Vermächtnis betrachtet werden.

David Klemm

1 Vgl. Viatte 1972; Forlani Tempesti 1973 a, S. 153–155; Ausst.-Kat. Karlsruhe 2005, S. 178–183 (Beitrag Dorit Schäfer). Möglicherweise war auch Kat.-Nr. 205 als Teil der Serie geplant. Vgl. Kat.-Nr. 205. Erich Müller sei für Hinweise gedankt.
2 Viatte 1972, S. 200.
3 Alexandre de Vesme, Phyllis Dearborn Massar: Stefano della Bella. Catalogue Raisonné, Alexandre de Vesme with Introduction and Additions by Phyllis Dearborn Massar, 2 Bde., New York 1971, Bd. I, Nr. 92.
4 Ebd., S. 200; Forlani Tempesti 1973 a, S. 154–155, Kat.-Nr. 96–98. Die Radierung wurde von Giovanni Battista Galestruzzi (1618–1677) vollendet.
5 Forlani Tempesti 1972, o. S. , CVII; Forlani Tempesti 1973 a, S. 155, Nr. 98.
6 Auf dem Probeabzug finden sich einige, wohl von della Bella gesetzte Kreidespuren, die aber keine genaueren Rückschlüsse darüber erlauben, was der Künstler weiter geplant hat.
7 Viatte 1972.
8 Forlani Tempesti 1973 a, S. 153–155.
9 Bellesi 1998, S. 25.
10 Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizien, Inv.-Nr. 8044 F.
11 Forlani Tempesti 1973 a, S. 153–154, Nr. 95.
12 Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizien, Inv.-Nr. 7980 F. Vgl. Viatte 1972, Abb. 12.
13 Vgl. Ausst.-Kat. Karlsruhe 2005, S. 180.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun über Graphit und schwarzem Stift, grau laviert 195mm x 148mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1967-113 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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