Gerard de Lairesse, Zeichner

Das goldene Zeitalter, um 1665/67

Thema der Darstellung – von einem späteren Besitzer in einer rückseitigen Beischrift auf die Republik der Niederlande bezogen – ist das legendäre „Goldene Zeitalter“. Gemäß der römischen Mythologie stand diese glückselige Epoche unter der Herrschaft des Gottes Saturn („Saturnia Regna“), der wiederum mit dem griechischen Kronos, dem Gott der Zeit gleichgesetzt wird. Saturn/Kronos ist hier mit seinem Attribut der Sense links auf einer Wolkenbank thronend dargestellt, umkränzt von Girlanden und gekrönt mit dem Ewigkeitssymbol einer sich selbst in den Schwanz beißenden Schlange.(Anm.2) Zu seinen Füßen versuchen drei tanzende Putten vergeblich, seine Tochter Melancholia aufzuheitern. Das fröhliche Treiben der übrigen Figuren ist als Anspielung auf die Saturnalien zu verstehen, mehrtägige Feierlichkeiten, die im antiken Rom zu Ehren Saturns veranstaltet wurden. Frauen und Kinder schmücken eine Statue der Flora, eine verschleierte Vestalin gießt Weihrauch in ein Opfergefäß. Die Frucht tragende Erde wird symbolisiert durch Abundantia mit dem überfließenden Füllhorn, die sich von rechts aus den verschatteten Bögen der Loggia nähert. Die Priapos-Hermen im Mittelgrund bzw. die Statue der Diana von Ephesus hinten rechts stehen ebenfalls sinnbildlich für die Fruchtbarkeit.
Mit unserer Zeichnung korrespondieren ein um 1667–70 anzusetzendes Gemälde des Künstlers und ein gegenseitig ausgerichteter Reproduktionsstich des Abraham Bloteling, der um 1667–80 datiert wird.(Anm.3) Roy (1992) und Schaar (Ausst.-Kat. Hamburg 1994/95) vermuteten, dass es sich bei Inv.-Nr. 1963-778 um eine eigens für die graphische Reproduktion angefertigte Gemäldereplik handelt; Pokorny hingegen sah in dem Blatt die eigentliche Vorlage zu dem Gemälde,(Anm.4) der vielleicht noch ein ,aux deux crayons‘ gearbeiteter Erstentwurf vorausging.(Anm.5)
Pokorny ist zuzustimmen, da die Komposition sicher zur Übertragung in das größere Gemäldeformat (570 x 720 mm) gerastert wurde und nicht mit Blick auf die mit 392 x 510 mm annähernd gleich große Radierung. Gegen eine Funktion als nachträgliche Reinzeichnung spricht auch die skizzenhafte Anlage einzelner Partien.(Anm.6) Der aus verschiedenen Papierstreifen zusammengesetzte Bildträger dokumentiert ebenfalls die Suche nach der endgültigen Form unter Verwerfung und Korrektur verschiedener Varianten.
Dessen ungeachtet kann die Zeichnung auch als Basis für die graphische Reproduktion genutzt worden sein, wenngleich sich mechanische Übertragungsspuren nicht nachweisen lassen. Auf eine derartige Funktion lassen jedoch die nahezu übereinstimmenden Maße schließen; zudem sind die Bezüge zu dem Reproduktionsstich noch enger als zu der gemalten Fassung.(Anm.7) Geringfügige Abweichungen von der Radierung – etwa im Arrangement des Laubwerks – sind mindestens teilweise das Ergebnis einer nachträglichen Aufarbeitung unserer Zeichnung, die wiederum erklärt, warum die Quadrierung stellenweise über, stellenweise unterhalb der Tuschzeichnung liegt.
Offensichtlich erschien dem jungen Lairesse diese Erfindung geglückt, denn er verwendete das linke Blattdrittel als Ausgangspunkt für eine weitere Darstellung: In einem später wieder rückgängig gemachten Schnitt wurde es von der restlichen Komposition getrennt, vielleicht, um die Wirkung der isolierten Frauengruppe testen, bevor sie weiterentwickelt wurde zu einer von Gerard Valck (1651–1726) unter dem Titel „Gratitudine“ gestochenen Komposition.(Anm.8)

Annemarie Stefes

1 Vgl. Hans-Ulrich Beck: Anmerkungen zu den Zeichnungssammlungen von Valerius Röver und Goll van Franckenstein, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 1981, S. 111-125, S. 112 und 116; vgl.Hartstochtelijk verzameld: beroemde tekeningen in de 18de-eeuwse Hollandse collecties, bearb. v. Michiel C. Plomp, Mària van Berge-Gerbaud, Marjolein Menalda, Carel van Tuyll van Serooskerken, Ausst.-Kat. Haarlem, Teylers Museum, Paris, Hôtel Turgot, Institut Néerlandais, Paris, Paris 2001, S. 27, Nr. XVIII.
2 Vgl. Alain Roy: Gérard de Lairesse, Paris 1992, S. 220. – Vielleicht war dieser Ewigkeitsanspruch wirklich durch einen schon vom Künstler beabsichtigten Bezug zur holländischen Vormachtstellung motiviert.
3 Potsdam, Staatliche Schlösser und Gärten, Bildergalerie Schloss Sanssouci, Inv.-Nr. I 5188, Roy 1992, Nr. P. 32. Blotelings Reproduktionsstich (H. 84, „G. D. Lairesse pinxit / A. Blooteling fecit et ex.“) trug bereits den Titel „Aetas Aurea“, unter dem unser Blatt auch im handschriftlichen Verzeichnis der Sammlung Röver geführt wurde.
4 Erwin Pokorny: Die Lairesse-Zeichnungen in der Albertina, in: Delineavit et Sculpsit 19, 1998, S. 14-36, S. 22; vgl. auch ebd. S. 16. In Stil und mutmaßlicher Funktion vergleichbare Blätter befinden sich z. B. in Haarlem, Teylers Museum, Inv.-Nr. R* 6, Alain Roy: Gérard de Lairesse, Paris 1992, Nr. D. 15; Wien, Grafische Sammlung Albertina, Inv.-Nr. 3672, Inv.-Nr. 14533, Inv.-Nr. 3673, Erwin Pokorny: Die Lairesse-Zeichnungen in der Albertina, in: Delineavit et Sculpsit 19, 1998, S. 14-36, Nr. 3–5.
5 Erwähnt im Auktionskatalog der Sammlung des Herzogs von Tallard, Paris, 22. 3. 1756 und folgende Tage (Lugt Ventes 910), S. 133, Nr. 331: „Un grand & beau dessein, aux craïons rouge & noir, représentant une fête de Flore“. Diesem bislang als verschollen geltenden Blatt wurde von Alain Roy: Gérard de Lairesse, Paris 1992, S. 218, anstelle der Hamburger Zeichnung die Funktion des Gemäldeentwurfes zugesprochen.
6 Dies betrifft z. B. eine weibliche Figur mit ausgestrecktem Arm, die sich auf Gemälde und Radierung deutlich von der Bepflanzung des Gartens hinter Loggia und Balustrade abhebt, hier hingegen nur sehr schemenhaft angedeutet wird. Auch fehlen auf der Zeichnung die sonst sorgfältig definierten Blumengirlanden in den Händen der fliegenden Eroten.
7 Z. B. ist die hinter der Melancholia-Gruppe zwischen den Bäumen dargestellte weibliche Figur auf Zeichnung und Stich größer proportioniert als auf dem Gemälde, und die Stirn der Vestalin wird in beiden Fällen teilweise vom Schleier bedeckt, während das Gemälde ihre freigelegte ovale Gesichtsform betont.
8 H. 95 (275 x 335 mm), Roy 1992, Abb. 32 b. Eine gegriffelte Vorzeichnung zu diesem Stich ist ebenfalls auf zwei aneinandergestückten Blättern gezeichnet: Aukt.-Kat. Amsterdam, Christie’s, 25. 11. 1991, Nr. 92, unter dem Titel „Aetas Aurea“ (Rötel, braun laviert, 287 x 349 mm).

Details zu diesem Werk

Feder und Pinsel in Braun über Graphit; Quadrierung (Graphit); Einfassungslinien (Feder in Braun) 372mm x 496mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1963-778 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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