Das Blatt gelangte als Arbeit Guido Renis ins Kupferstichkabinett, wahrscheinlich weil sich die Zeichnung auf der Rückseite eines Kupferstichs nach Renis „Der Bethlehemitische Kindermord“ befindet. Unabhängig voneinander haben dann Philip Pouncey und ein nicht identifizierbarer Wissenschaftler (H. L. ?) bei ihren Besuchen im Kabinett per Kartonnotiz Simone Cantarini als Zeichner vorgeschlagen. Diese Attribution wurde 2005 von Corinna Höper eindeutig bestätigt.(Anm. 1) Sie wies zum Vergleich auf die ebenfalls Cantarini zugeschriebene „Heilige Familie“ der Sammlung Fachsenfeld hin.(Anm. 2) Übereinstimmend ist die insgesamt unruhige Schraffur: Neben einzelnen Bereichen mit parallelen Lagen finden sich auch weite Kreuzschraffuren, so am Gewand des Joseph und unter dem linken Arm der Frau auf dem Hamburger Blatt. Gut vergleichbar sind auch die „spitzen“ Finger der Frau mit denen der Maria; die dicken Striche in ihrem Haar finden sich auch im Haar des Hl. Joseph. An dieser Position hat Veronika Birke 2006 grundsätzliche Zweifel geäußert.(Anm. 3) Für sie ist zwar in der lockeren Strichführung im Körperbereich eine Ähnlichkeit zu Cantarini zu erkennen, doch erscheint ihr vor allem die Gestaltung des Gesichtes für den Künstler ungewöhnlich. Dies betrifft vor allem den etwas verwischten Eindruck der linken Wangenhälfte. Auch wirken manche Schraffen, so unterhalb des rechten Arms, wenig sinnvoll. Eine Zuschreibung an Cantarini erscheint daher fraglich. Vielleicht liegt hier die Zeichnung eines stark von Cantarini beeinflussten Nachahmers des 17. Jahrhunderts vor. Für den Studiencharakter der Zeichnung spricht auch, dass das ursprüngliche Blatt einmal geknickt wurde, um es für eine Beinstudie zu nutzen. Eine derartige Verwendung von Blättern ist zwar auch von anderen Künstlern des 17. Jahrhunderts, z. B. von Lanfranco, überliefert, lässt sich jedoch im Bestand an Cantarini-Zeichnungen nicht nachweisen.

David Klemm

1 Anlässlich des Symposiums „Italienische Altmeisterzeichnungen 1450 bis 1800“ am 27. und 28. 10. 2005 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.
2 Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Sammlung Schloss Fachsenfeld Inv.-Nr. II/297.
3 Mündliche Mitteilung, November 2006.

Details zu diesem Werk

• Beschriftung

  Beschriftung fremd: Unten verschiedene Ziffern und Buchstaben: "120", "HK5(?)" "B.." (nicht lesbar); auf dem Verso oben links: Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1233); oben rechts bezeichnet: "Guido Reni p." (Bleistift). Bei dieser Zeichnung handelt es sich um einen Sonderfall. Da das eigentliche Verso einen Kupferstich nach Guido Renis Bethlehemitischen Kindermord zeigt. Dieser Druck wurde in der Mitte geknickt, und auf der freien Rückseite wie ein Recto und Verso bezeichnet.

• Provenienz

  Washington von der Hellen (1834-1900), Hamburg (nicht bei Lugt); Gustav von der Hellen (1879-1966), San Isidro/Argentinien (nicht bei Lugt); Schenkung von der Hellen 1962 an die Hamburger Kunsthalle

• Bibliographie

  Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, David Klemm; Herausgeber, 2009, S. 124, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 115