Nikolaus Knüpfer

Artemisia trauernd über dem Sarkophag ihres Gemahls Mausolos, um 1650

Das Blatt ist sehr wahrscheinlich identisch mit einer Zeichnung, die Harzen 1861 in London erworben und in seinem handschriftlichen Inventar Adam Elsheimer bzw. Govert Flinck zugeschrieben hatte. Das Thema der Darstellung hatte er dort als „Artemisia trauernd am Sarkophag ihres Gemahls“ bezeichnet.(Anm. 1)
Das aus den Sammlungen Richter und Schmidt stammende Blatt dürfte mit Harzens Vermächtnis 1863 bzw. 1869 in die Kunsthalle gekommen – darauf deutet der auf dem Verso angebrachte Stempel der Kunsthalle hin (Lugt 1328), der offensichtlich nur vor und unter dem Direktorat Lichtwarks (1886–1914) verwendet wurde –, doch danach wieder durch den für die Kunsthalle zuständigen Inspektor Christian Meyer (1811–1886) verkauft worden sein. Käufer war wohl der in Altona ansässige Däne Carl Fredrik Christian Rhodin (1821–1886), dessen Sammlung nach seinem Tode wahrscheinlich vollständig von Washington von der Hellen (1834–1900) übernommen wurde. Schließlich ist die Zeichnung 1962 mit dem Vermächtnis von der Hellen in die Kunsthalle zurückgekehrt.
In der Sammlung von der Hellen war das Blatt Adam Elsheimer zugeschrieben und ist 1963 als dessen Zeichnung auch ins Inventar der Hamburger Kunsthalle aufgenommen worden, doch mit für Elsheimer gesicherten Zeichnungen besteht keine Ähnlichkeit. Danach ist das Blatt zu den anonymen deutschen Meistern gelegt worden, denen es bis jetzt zugeordnet war; Stubbe wiederum hatte noch in einer kurzen Notiz eine niederländische Autorschaft für möglich gehalten.(Anm. 2) Bereits Harzens seinerzeitige Unentschiedenheit bei der Zuschreibung des Blattes spiegelt einmal mehr die Schwierigkeiten der Zuweisung von anonymen Zeichnungen an nationale Schulen wider.
Hier soll das Blatt einer Anregung von Tilman Falk (Anm. 3) folgend Nikolaus Knüpfer zugeschrieben werden. Der Vergleich mit für Knüpfer gesicherten Zeichnungen legt die Zuweisung an ihn nahe.(Anm. 4) Die Ähnlichkeit mit Werken Knüpfers lässt sich vor allem an dem Blatt „David und der Prophet Gad“ in Dresden (Anm. 5) zeigen: In beiden Fällen ist nicht nur die Bildanlage ähnlich, sondern auch die zeichnerische Ausarbeitung. Ver-gleichbar ist die ähnlich kontrastreiche Lavierung in Braun, die durch die dünne Feder konturiert wird. Ebenso lässt sich die nicht immer ganz sichere Erfassung der Anatomie im Bereich des Oberkörpers von Artemisia und ihren Begleiterinnen mit dem Herabschwebenden auf dem Dresdner Blatt genauso vergleichen wie dessen spitzer Gesichtsschnitt.(Anm. 6) Das Sitzmotiv der Artemisia kommt in ähnlicher Weise auf dem Blatt „Der verlorene Sohn im Bordell“ in Amsterdam vor (Anm. 7), das wie die Hamburger Zeichnung mit der effektvollen Kontrastierung von Kontur und Lavierung arbeitet.
Das ungewöhnliche Thema hat Knüpfer auch in einem Gemälde behandelt, das sich heute in Poitiers befindet.(Anm. 8) Allerdings weicht die Komposition von der Hamburger Zeichnung entscheidend ab, weshalb sie keine direkte Vorlage für das Gemälde ist.

Peter Prange

1 Valerius Maximus: Facta et dicta memorabilia, IV, 6, 1.
2 Archiv der Hamburger Kunsthalle, Nachlass Wolf Stubbe.
3 Anlässlich des Symposiums „Deutsche Altmeisterzeichnungen 1500 bis 1800“ am 28. und 29.10.2004 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.
4 Die Zuschreibung bestätigt hat auch Jo Saxton, die das Blatt nicht mehr in ihre Monographie über Knüpfer aufnehmen konnte, vgl. Jo Saxton: Nicolaus Knupfer. An original Artist. Monograph and Catalogue Raisonné of Paintings and Drawings, Doornspijk 2005.
5 Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. C 1966–69, vgl. Juri I. Kuznetzow: Nikolaus Knupfer (1603?–1655), in: Oud Holland. Quarterley for Dutch Art History 88, 1974, S. 209, Nr. 3, Abb. 26.
6 Das Beobachtete trifft in ähnlicher Weise für die Hinaufschwebende zu in Knüpfers 1651 entstandener „Allegorie auf die Jagd nach dem Glück“ in Schwerin, Staatliches Museum, Inv.-Nr. 1690, siehe Holländische und Flämische Malerei des 17. Jahrhunderts, 100 Jahre Staatliches Museum Schwerin, Bestandskatalog I, Schwerin 1982, S. 15, Nr. 181, Abb. 65.
7 Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. A 3687, siehe Kuznetzow 1974 (Anm. 5), S. 212, Nr. 17, Abb. in Ausst.-Kat. Berlin 1966, S. 118, Nr. 151, Abb. 149.
8 Saxton 2005 (Anm. 4), S. 149–150, Nr. 55, Abb.

Details zu diesem Werk

Feder und Pinsel in Braun 197mm x 148mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1963-739 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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