Anonym (niederländisch), Zeichner

Bettelweiber

Bettler, Zigeuner und andere abgerissene Gestalten waren beliebtes Bildthema im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts. Dieser Mode folgte auch die vorliegende Zeichnung. Das zu einem späteren Zeitpunkt, vielleicht von einem Sammler hinzugefügte Monogramm bezieht sich vermutlich auf Andries Both. Thematisch verwandte Zeichnungen Boths unterscheiden sich jedoch in der deutlich bewegteren, nervöseren Linienführung.(Anm.1)
Prototypen dieser Zeichnungsgattung schuf vermutlich Roelant Savery mit seinen Zeichnungen der „naer het leven“-Gruppe (um 1604).(Anm.2) Zwar bestehen keine direkten stilistischen Zusammenhänge, doch findet man das Nebeneinander von einer frontal dem Betrachter zugewandten und einer seitlich stehenden Figur auch auf Blättern wie Saverys Berliner „Bettlerpaar“.(Anm.3) Ähnliche Typen begegnen im Œuvre des David Vinckboons.(Anm.4) In ihrem karikaturhaften Ausdruck am nächsten kommen die „Bettelweiber“ den allerdings noch stärker überzeichneten Genrefiguren des Pieter Quast, der seinerseits einige der „naer-het-leven“-Blätter Saverys kopierte.(Anm.5) Eine Entstehung in Umkreis oder Nachfolge Quasts wäre für die Hamburger Blätter durchaus anzunehmen; auch ein Bezug zu einer unbekannten Vorlage erscheint nicht ausgeschlossen.(Anm.6)

Annemarie Stefes

1 Z. B. Aukt.-Kat. Berlin, Bassenge, 3. 6. 1994, Nr. 5073.
2 Die Zuschreibung dieser Werkgruppe an Savery geht zurück auf Frans van Leeuwen (1967), vgl. Frans van Leeuwen: Figuurstudies van 'P.Bruegel', in: Simiolus 5, 1971, Nr. 3/4, S. 139-149 und Carel Blotkamp u.a.: The 'Naer het Leven' Affair, in: Simiolus 5, 1971, Nr. 3/4, S. 137-138.
3 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 728, Pieter Bruegel als Zeichner, Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Berlin 1975, Nr. 222. Vgl. auch Callots radierte „Bettlerserie“, darunter vor allem Lieure 1924–29, Bd. 6, Nr. 481, 486, 487.
4 Z. B. der 1605 datierte „Straßenmusikant“ in Paris, Sammlung Leegenhoek, oder die um 1606 angesetzte „Brotverteilung an die Armen“ in Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, Inv.-Nr. KMS1880, Goossens 1954, Abb. 55 und 54; vgl. auch die um 1604/06 datierte Zeichnung „Bettler und Bettlerin mit Kind“ in Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv.-Nr. DV 1, Wolfgang Wegner, Herbert Pée: Die Zeichnungen des David Vinckboons, in: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst 31, 1980, S. 35-128, Nr. 29, vgl. Inv.-Nr. 22646 und die Radierung H. 20.
5 Vgl. hierzu Yuri I. Kuznetsov: Pieter Quast Copied Savery's 'Naer het leven'-Drawings, in: Album Amicorum J. G. van Gelder, Den Haag 1973, S. 215-218.
6 Vgl. den „Laufenden Bettler“, 1636, Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1885-A-457, die „Groteske Figur mit Teller“, Edinburgh, National Gallery of Scotland, Inv.-Nr. RSA 68, Keith Andrews: Catalogue of Netherlandish Drawings in the National Gallery of Scotland, 2 Bde., Edinburgh 1985, Bd. 1, S. 62, oder den auf Pergament gezeichneten „Bettler“, Aukt.-Kat. Amsterdam, Sotheby’s, 16. 11. 2005, Nr. 14. Das ausgeprägte Profil der rechten Frau erinnert an einen mit Rötel gezeichneten „Männerkopf“ in Göttingen, Kunstsammlung der Georg-August-Universität, Inv.-Nr. Sammlung Uffenbach, H 63. Ebenfalls verwandt sind Quasts Radierungen H. 7–33, vgl. besonders H. 25; vgl. auch Gemälde wie den „Branntweinverkäufer und seine Frau“, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, Inv.-Nr. 299.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun, braun laviert, stellenweise überarbeitet mit Deckweiß auf bräunlichem Papier; Einfassungslinien (Feder in Braun) 134mm x 101mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1963-437 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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