Hendrik Kobell, Zeichner

Blick auf die Diestpoort der Stadt Batavia, 1772 - 1778

Wie Inv.-Nr. 1963-261 diente auch dieses Blatt als Vorlage für einen Stich des Matthias de Sallieth aus der Folge von „Zes Oost-Indische Gezigten“. Die Inschriften der 1779 datierenden Drucke verweisen auf Vorlagen aus dem Jahre 1772. Inv.-Nr. 1963-261 ist hingegen 1778 datiert, doch das vorliegende Blatt könnte durchaus schon um 1772 entstanden sein angesichts der stärker an der Gesamtwirkung beteiligten Feder.
In den Grundzügen stimmt Inv.-Nr. 1963-262 überein mit einer Zeichnung des Johannes Rach (1720–1783), die sich heute in der Nationalbibliothek Indonesiens befindet.(Anm.1) Der in Kopenhagen geborene Rach war 1762 nach Asien ausgewandert und spezialisierte sich in Batavia auf die Wiedergabe topographischer Motive.(Anm.2) Vermutlich kannte Kobell vergleichbare Zeichnungen Rachs oder seiner zahlreichen Assistenten. Auf eine derartige Vor-Ort-Aufnahmen könnte sich der Zusatz „naar ’t leven“ beziehen.(Anm.3)
Im Vergleich zu Inv.-Nr. 1963-261 ist das Lokalkolorit hier stärker ausgeprägt. Dafür sorgt nicht nur die exotische Vegetation, sondern auch das bunte Völkergemisch aus Einheimischen, Europäern und Chinesen. Dieses Bild entsprach durchaus der Realität und spiegelt die große Anziehungskraft der Gouverneursstadt Batavia, die als Verwaltungszentrale der ostindischen Kolonien diente. Um 1700 lebten etwa 70.000 Menschen in der Stadt und ihrem unmittelbaren Umkreis – darunter lediglich 6.000 Europäer.(Anm.4)
Auf Kobells Zeichnung fällt der Blick von außen auf die ummauerte Stadt. Das hier dargestellte Tor, die „Diestpoort“, war 1740 Schauplatz eines Aufstandes der chinesischen Minderheit gewesen, der von den Holländern blutig niedergeschlagen wurde. Die kleine Bastion im Fluss vor der Stadtmauer wurde anschließend zum Schutz vor einem weiteren Angriff der Chinesen errichtet.(Anm.5) Dahinter erkennt man den Turm der „Nieuw Hollandse Kerk“.
Offensichtlich wurden diese Zeichnungen im 18. Jahrhundert gemeinsam mit den anderen batavischen Stichvorlagen Kobells als zusammenhängende Werkgruppe behandelt. Noch auf der Auktion der Sammlung Houbraken in Amsterdam (1781) können beide Blätter nachgewiesen werden. Zehn Jahre später, auf der Auktion der Sammlung Van Dijk, ging der „Blick auf die Diestpoort“ an Goll van Franckenstein, während die „Ansicht der Insel Onrust“ von dem Kunsthändler Jan Yver erworben wurde. Erst in der Sammlung Rhodin wurden beide Zeichnungen wieder vereint.

Annemarie Stefes

1 Jakarta, Indonesische Nationalbibliothek, Inv.-Nr. BW 31 (355 x 520 mm).
2 Johannes Rach 1720-1783: artist in Indonesia and Asia, Ausst.-Kat. Jakarta, National Library of Indonesia, Jakarta, Amsterdam 2001.
3 Vgl. Roeland van Eijnden, Adriaan van der Willigen: Geschiedenis der vaderlandsche Schilderkunst, sedert de helft der XVIII eeuw, 4 Bde., Haarlem 1816-40, Bd. 2, S. 374–375.
4 Harm Stevens: Dutch Enterprise and the VOC 1602-1799, hrsg. von Rijksmuseum Amsterdam, Zutphen 1998, S. 88.
5 Johannes Rach 1720-1783: artist in Indonesia and Asia, Ausst.-Kat. Jakarta, National Library of Indonesia, Jakarta, Amsterdam 2001, S. 37.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun, grau laviert, Spuren von Graphit; Reste von Einfassungslinien (Feder in Braun) 77mm x 220mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1963-262 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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