Anonym (deutsch, 17. Jh.), Zeichner; Kopist
Joseph Heintz d. J., Konzeption, Maler*in; Stecher*in

Die Madonna von Loreto erscheint überfallenen Pilgern, 1669

Seit seiner Erstveröffentlichung ist das Blatt Joseph Heintz d. J. zugeschrieben worden und gilt als die gleichseitige Vorzeichnung zu einer höchstwahrscheinlich eigenhändigen Radierung des Künstlers, in der er die wunderbaren Begebenheiten bei der Übertragung des hl. Hauses von Loreto in einer Art Simultandarstellung schildert. Die Geschichte vollzieht sich in vier Episoden, die auf der Radierung und der Zeichnung durch die Buchstaben „A-D“ gekennzeichnet sind.
Der Überlieferung nach soll das Haus der Hl. Familie 1291 zunächst nach Tersatto (Trsat) in Dalmatien gebracht worden sein (A), bevor es drei Jahre später über das Adriatische Meer nach Recunati gebracht wurde, wo es allerdings häufig von Wegelagerern heimgesucht wurde (B). 1295 deshalb an eine andere Stelle versetzt (C), kam es am 2. Dezember 1295 nach Loreto, wo es noch heute verehrt wird (D).
Zeichnung und Radierung gehen auf ein Gemälde des Künstlers zurück, das sich der Inschrift auf der Radierung zufolge in der Kirche San Polo in Venedig befand und das Lucia Longo vor einigen Jahren in norditalienischem Privatbesitz wiederentdeckt hat. An der Eigenhändigkeit des Gemäldes besteht kein Zweifel, und auch über die Zuweisung von Zeichnung und Radierung an Heintz herrscht allgemein Einigkeit. Zwar sind keine weiteren eigenhändigen Graphiken von Heintz bekannt, doch sind die Übereinstimmungen zwischen dem Gemälde und der Radierung so groß – vor allem in der räumlichen Erschließung der Komposition –, dass eine direkte Abhängigkeit besteht. Eine solche weitgehende Übereinstimmung ist zwischen der Radierung und der Zeichnung, die allgemein als deren unmittelbare Vorlage gilt, allerdings nicht festzustellen. Auf der Zeichnung fehlt links der gesamte Vordergrund mit den Schafen am Weiher, wie auch dahinter die Tiefenerstreckung gegenüber der Radierung nicht überzeugend gelungen ist. Deshalb hat der Zeichner an dieser Stelle auch einfach Figuren weggelassen. Auf der rechten Seite setzen sich solche Missverständnisse fort: Im Mittelgrund wird ein Pilger von einem Wegelagerer überfallen, daneben liegen – auf dem Gemälde und der Radierung deutlich erkennbar – ein Schild und ein Schwert. Auf der Zeichnung dagegen liegt an dieser Stelle ein Hut. Dahinter erscheint auf dem Gemälde und der Radierung eine Art Tor, in dem ein gerade wegsprengender Reiter sichtbar ist. Er wiederum fehlt auf der Zeichnung ganz.
Die beschriebenen Beobachtungen führen zur Frage, weshalb Heintz solche Details hätte weglassen sollen und weshalb er die einzelnen Episoden in ein proportionales Missverhältnis hätte bringen sollen, da man davon ausgehen muss, dass das Gemälde zuerst da war. Dies ist deshalb unzweifelhaft, weil auf der Radierung in der Widmung, die mit Joseph Heintz (= Gioseffe Enz d’Augusta pittore) bezeichnet ist, Heintz von „del mio Quadro in San Polo“ spricht. Man könnte daran denken, dass die Zeichnung ein erster, im Gemälde überarbeiteter Entwurf ist, doch verbietet sich eine solche Annahme auf Grund der auch in der Zeichnung eingetragenen Buchstaben, welche die einzelnen Episoden bezeichnen.
Die Missverständnisse und Fehler auf der Zeichnung lassen nur den Schluss zu, dass es sich bei der Zeichnung um eine Nachzeichnung nach der Radierung handelt, die im Übrigen auch in der Strichbehandlung viel feiner ist. Ein solch feiner Strich ist auch für die wenigen bekannten Zeichnungen von Heintz kennzeichnend – namentlich in zwei jüngst im Kunsthandel aufgetauchten Zeichnungen (Anm. 1) –, von dem sich die vorliegende Zeichnung doch unterscheidet. Bestätigt wird die Annahme einer Nachzeichnung auch durch die genaue Untersuchung der nachträglich unkenntlich gemachten Signatur. Unter UV-Licht trat sie zumindest teilweise deutlich hervor: „Christoph K(F)a[…]ner: f: 1669“. Der Nachname ist nicht genau zu entziffern, der Anfangsbuchstabe und derjenige zwischen „a“ und „n“ sind nicht deutlich erkennbar, doch die Einträge davor und danach sind unstrittig. Es dürfte sich daher um die Nachzeichnung eines unbekannten Künstlers – ein Künstler mit diesem oder ähnlichem Namen ist im AKL nicht nachweisbar – nach der Radierung handeln, die Heintz wie das Gemälde in Anlehnung an eine 1646 in Venedig stattgefundene Zeremonie spätestens in den 50er Jahren – so Longo – angefertigt haben dürfte.

Peter Prange

1 „Allegorie der Zeichnung, Malerei und Architektur“, datiert 1660, vgl. Boerner 1999, S. 6, Nr. 2; und „Madonna mit dem Kinde von weiblichen Heiligen umgeben“, datiert 1640, vgl. Meisterzeichnungen und Ölstudien von 1584 bis 1877, Emanuel von Bayer, London 2000, S. 17, Nr. 7, Abb

Details zu diesem Werk

Feder in Braun, laviert 216mm x 390mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1958-63 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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