Erwin Speckter, zugeschrieben, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder
und Raffael (Werkstatt), Maler

Merkur schwebt vom Olymp herab (Kopie nach der Figur in der Loggia der Villa Farnesina, Rom), 1830/34 (?)

Die leuchtende, auf einem beeindruckend gleichmäßig hellblauen Grund gefertigte Gouache mit der Figur des fliegenden Merkur nach Raffaels Loggien-Fresko in der Farnesina (vgl. Inv.-Nr. 70397) wurde 1957 als Werk des Hamburger Künstlers Erwin Speckter erworben. (Anm. 1) Diesem wird es in Ermangelung überzeugender Alternativen noch heute zugeschrieben, obwohl es keinen direkten dokumentarischen Beweis gibt. Gleichzeitig wurden damals beim Hamburger Auktionshaus Dr. Ernst Hauswedell weitere Gouachen mit Kopien nach der Farnesina versteigert, die alle aus einer Sammlerhand – wahrscheinlich einer Hamburger Privatsammlung, möglicherweise mit tradierten Kenntnissen zur Zuschreibung – eingeliefert wurden. (Anm. 2)

Die im Sinne des Originals seitenrichtig wiedergegebene Figur Merkurs hat eine gewisse Verwandtschaft mit Speckters Entwürfen zu den auf Philipp Otto Runges Werk basierenden, schwebenden, weiblichen Figuren der Tageszeiten für die Malereien in dem von Alexis de Chateauneuf entworfenen Kabinett des Syndicus Karl Sieveking im 1829–31 umgebauten Hammerhof in Hamburg-Hamm (Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg). (Anm. 3) Chateauneuf schrieb zur Inspiration Speckters durch Raffael in seinem Nachwort der Briefe Speckters aus Italien: „Erst einige kleine Entwurfe für die Arbeit des nächsten Sommers waren vorhanden. Die Cartons für die wirklichen Ausführungen sollten alle erst gemacht und theils erst entworfen werden. Der Bau des Hauses war bis auf die innere Ausschmückung so ziemlich vollendet und es konnten unserm Erwin einige Zimmer im obern Stockwerk gegeben werden, worin er sich zu größeren Arbeiten einrichtete, und sogleich waren die Wände mit Kupferstichen nach Michel Angelo’s und Rafael’s Meisterwerken behängt.“ (Anm. 4)

Auch im Zusammenhang mit den Fresken im Festsaal und im Balkonzimmer des 1832–36 erbauten Stadthauses des Juristen August Abendroth am Neuen Jungfernstieg (Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg), deren Bildprogramm mit ornamentalen Pflanzenranken, fantastischen Menschen- und Tierfiguren, Eroten, Fabelwesen und Allegorien deutlich von Speckters Italienaufenthalt inspiriert sind, könnten die Gouachen nach Raffael, die nicht zwangsläufig vor Ort, sondern auch nach kolorierten älteren Vorlagen gearbeitet sein könnten, entstanden sein. (Anm. 5) Trotz allem lässt sich aber eine wirklich individuelle Handschrift bei der Gouache des Merkurs (und auch der anderen Blätter) aufgrund des Kopiecharakters, den solche Andenkenblätter, die auch in Italien von einer ganzen Künstlerindustrie für Reisende hergestellt wurden, nicht erkennen, welche eine Identifizierung des Verfertigers zweifelsfrei ermöglichen würde.

Wenn also die Zuschreibung an Speckter auch weiterhin als nicht gänzlich gesichert erscheinen mag, so soll hier der Hamburger Künstler, der meist in Rom lebte, aber auch die Ausgrabungen in Pompeji bei Neapel besuchte, dennoch durch seine verehrenden Beobachtungen anhand von Raffaels Farnesina-Fresken und Michelangelos Ausmalung in der Sixtinischen Kapelle in seinen zwischen 1830 und 1834 in die Heimat Hamburg geschriebenen Briefen zu Wort kommen: „Nun will ich Euch noch erzählen, daß ich die Farnesina und die Sixtinische Kapelle gesehen und von beiden gleich überrascht worden bin. Besonders aber doch durch die Sixtinische! […]; aber keinen Meister kann man weniger aus Kupferstichen kennen lernen, als Michel Angelo. Gegen diesen göttlichen Riesen freilich muß Rafael zurücktreten. […]. Ja, gegen diesen gereiften riesenhaften Helden scheint Rafael ein Kind, oder eine Jungfrau, die gegen falsche Rüstung nichts als ihre Grazie, Unschuld und Schönheit hat. – […]. Je mehr ich von Rafael sehe, je mehr lieb’ und vergöttere ich ihn. Alles entzückt mich, diese reiche Phantasie, diese jugendliche Freundlichkeit, Anmuth und Schönheit […].“ (Anm. 6) Dieses Urteil über Raffael als Maler der Grazie und Anmut entspricht ganz dem nazarenischen Gedankengut, dem Erwin Speckter sich in Rom eng anschloss und das er in seine protestantische Heimat Hamburg zu transportieren gedachte. Sein früher Tod verhinderte dieses künstlerische Bestreben bis auf die erwähnten Wandbilder im Auftrag Hamburger Mäzene und einem reichen zeichnerischen Nachlass, der sich zum größeren Teil im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle befindet. (Anm. 7)
Andreas Stolzenburg

LIT (Auswahl): Aukt.-Kat. Hamburg, Hauswedell & Nolte 1957, o. S., Nr. 731 (als
„Aquarell mit Pastellfarben“); Stubbe 1959, S. 172 (als Erwin Speckter)

1 Zu Speckter siehe Ausst.-Kat. Hamburg 1977b; Speckter/Stubbe 1978. 2 Aukt.-Kat. Hamburg, Hauswedell 1957, o. S., Nr. 730 (Mercurio e Psiche), Verbleib unbekannt, Nr. 732, Taf. XII (Psiche) [beide vom Einlieferer 179, nicht identifiziert]. Die rückseitig von fremder Hand mit „Speckter, Erwin (Hamburg)“ bezeichnete Psyche (573 x 443 mm, Blatt) wurde 2016 wieder versteigert; Aukt.-Kat. München, Ketterer 2016, S. 25, Nr. 32 (als zugeschrieben; aus Hamburger Privatbesitz; jetziger Verbleib unbekannt). 3 Zu den Entwürfen siehe Ausst.-Kat. Hamburg 1977b, o. S. (Kap. Das Vorbild Runge) und Ausst.-Kat. Hamburg 2019, S. 182–183, Nr. 26; zu den Malereien allgemein Ausst.-Kat. Hamburg 1995a, S. 124–129; Kitzlinger 2011, S. 4–9; zu Chateauneuf Ausst.-Kat. Hamburg 2000, hier S. 185–192, Nr. 36 (Stadthaus Abendroth), S. 173–175, Nr. 23 (Umbau Landhaus Sieveking in Hamm).
4 Alexis de Chaetauneuf, in: Speckter/Stubbe 1978, Zweiter Theil, S. 123. Freundlicher Hinweis auf diese Textstelle von Henry Smith, Hamburg
5 Ausst.-Kat. Hamburg 1995, S. 130–139; Kitzlinger 2011, S. 10–15. Aufgrund Speckters frühem Tod im Jahr 1835 wurden die Fresken von dem eng befreundeten Lübecker Maler Carl Julius Milde zu Ende geführt.
6 Speckter/Stubbe 1978, S. 64–65.
7 Vgl. exemplarisch Ausst.-Kat. Hamburg 2019, S. 178-187, Nr. 24-27.

Details zu diesem Werk

Gouache 580mm x 442mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Erworben 1957 von Dr. Ernst Hauswedell, Hamburg, mit Mitteln der Campe'schen Historischen Kunststiftung. Inv. Nr.: 1957-331 Sammlung: KK Zeichnungen, Hamburg, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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