Anonym, Florenz, Ende 16. Jahrhundert

Diomedes, Aeneas und Aphrodite

Verso: Vier Studien eines männlichen Armes

Die traditionelle Zuschreibung an Cigoli erscheint – wie Andrea Czére im Oktober 2005 bestätigte – aufgrund der virtuosen, lebendigen und mit starken Kontrasten arbeitenden Zeichenweise nachvollziehbar.(Anm. 1) Typisch für Cigoli sind die spontane Linienführung, die freie Lavierung und die länglichen Formen. Eindrucksvoll spiegelt diese Zeichentechnik das dramatische Geschehen. Andrea Czére verwies auf eine Zeichnung mit ähnlichen Zügen in den Uffizien, die Christus zeigt, wie er das Meer beruhigt.(Anm. 2) Weitere Studien des Künstlers – so für das „Martyrium des Hl. Petrus Martyr“ – sind ähnlich virtuos gestaltet.(Anm. 3) Wiederholt findet sich auf Cigolis Blättern zudem die auf der Hamburger Zeichnung erkennbare extrem starke Lavierung einzelner Bildbereiche.(Anm. 4)
Trotz dieser gut vergleichbaren Momente stieß die Zuordnung zum Œuvre Cigolis z. B. bei Heiko Damm, Florenz (Anm. 5), und Roberto Contini, Berlin (Anm. 6), auf Zweifel. Miles Chappell kann die Zuschreibung an Cigoli zwar nachvollziehen, denkt aber trotzdem, dass das Blatt von einem anderen florentinischen Zeichner des späten 16. Jahrhunderts stammt.(Anm. 7) Er stellt Domenico Passignano (1559–1636) zur Diskussion.
Die Zeichnung wurde bislang als die Verfolgung von Acis und Galathea durch Polyphem bestimmt. Miles Chappell gelang die richtige Deutung, indem er die dargestellte Szene auf ein Ereignis aus dem 5. Buch der Ilias bezog.(Anm. 8) Dort wird von dem Griechen Diomedes berichtet, der Aeneas mit einem großen Stein an dessen Hüfte getroffen hatte. In diesem Augenblick kommt Aphrodite zu Hilfe, um Aeneas fortzuschaffen. Vor diesem Hintergrund macht auch die schwer entzifferbare Beschriftung „diome[… ?]“ Sinn.

David Klemm

1 Anlässlich des Symposiums „Italienische Altmeisterzeichnungen 1450 bis 1800“ am 27. und 28.10.2005 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.
2 Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi; Inv.-Nr. 993 F; vgl. Disegni di Lodovico Cigoli (1559-1613), bearb. v. Miles L. Chappell, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi LXXIV, Ausst.-Kat. Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi 1992, S. 150–153, mit Abb.
3 Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi; Inv.-Nr. 9088 F; vgl. Disegni di Lodovico Cigoli (1559-1613), bearb. v. Miles L. Chappell, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi LXXIV, Ausst.-Kat. Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi 1992, S. 74–76.
4 Vgl. z. B. „Zug von Soldaten und Höflingen“, Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv.-Nr. 8902 F; vgl. Disegni di Lodovico Cigoli (1559-1613), bearb. v. Miles L. Chappell, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi LXXIV, Ausst.-Kat. Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi 1992, S. 9–11, Nr. 5.
5 Mündliche Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 25.3.2008.
6 Mündliche Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 24.4.2008.
7 Mündliche Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 29.4.2008.
8 Mitteilung per E-Mail auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 29.4.2008. Die Deutung des Steinewerfers als Polyphem ist insofern nachvollziehbar, als der Mann in seiner Pose z. B. an Tibaldis berühmte Darstellung im Palazzo Poggi in Bologna erinnert. Im Kontext mit Aeneas und der Göttin ist allerdings seine Körpergröße alles andere als zyklopenhaft. Zudem ist keine Einäugigkeit erkennbar.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun über Rötel, braun laviert Technik Verso: Rötel 208mm x 168mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1957-142 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback