Wendel Dietterlin, Kopie?, Zeichner

Die apokalyptische Vision der 24 Ältesten am Thron Gottes, nach 1590

Das Blatt war zunächst lange Christoph Schwarz zugeschrieben, doch hat es Wolfgang Pfeiffer überzeugend mit Wendel Dietterlins Deckenmalereien in Zusammenhang gebracht, die er 1590–93 im Auftrag des herzoglich Württembergischen Hofs im oberen Saal des „Neuen Lusthauses“ in Stuttgart gemalt hatte. Nach der Zerstörung des Bauwerks gibt nur noch eine Radierung von Friedrich Brentel aus dem Jahre 1619 (Hollstein 190) eine ungefähre Vorstellung von der Ausstattung des Raumes, der von einer langgestreckten Holzdecke überwölbt wurde. Einer Chronik von 1622 zufolge bestanden die Malereien aus drei Abschnitten, der mittlere stellte „das Reich Unseres Hailands und Erlösers Jesu Christi“ dar.(Anm. 1) Aus einem Bericht von Georg Gadner, dem mit der Oberaufsicht über den Bau betrauten herzoglichen Geheimrat, geht hervor, dass Dietterlin für das Mittelstück „ain gerissne Visier gestelt“ hat, den Pfeiffer im vorliegenden Blatt zu erkennen glaubt. Tatsächlich ist das Größenverhältnis von Ausführung und Zeichnung maßstäblich annähernd gleich, doch gibt es Unterschiede ikonographischer Art zwischen der Beschreibung der Deckenfresken in der Chronik von 1622 und der Zeichnung. Sie erklärt Pfeiffer damit, dass Dietterlins Entwurf nicht vor Ort, sondern noch in Straßburg, also bevor er Mitte 1590 nach Stuttgart ging, entstanden sei, weshalb Dietterlin mit den örtlichen Verhältnissen nicht vertraut gewesen sei. In der Zwischenzeit ist von der Graphischen Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart ein Blatt mit dem Jüngsten Gericht erworben worden, das Heinrich Geissler als Entwurf Wendel Dietterlins für den unteren Abschnitt des Gewölbes im alten Lusthaus bestimmte.(Anm. 2) Das Blatt, in dem Dietterlin sowohl Einflüsse des Haarlemer Manierismus als auch Tintorettos verarbeitet, unterscheidet sich stilistisch wesentlich von dem vorliegenden, weshalb Geissler in dem Hamburger Blatt eine Nachzeichnung nach den Deckenbildern Dietterlins vermutet hat. Auch etwa gleichzeitige Vorzeichnungen Dietterlins zu seiner „Architectura“, die 1593 in Stuttgart erschien, zeigen einen manieristisch geprägten, eigenständigen Stil mit einer unnaturalistischen, splittrigen Figurenauffassung, die so auf dem Hamburger Blatt nicht vorkommt. Stilistisch gibt es mit den wenigen bekannten, für Dietterlin gesicherten Zeichnungen kaum Übereinstimmungen, weshalb die Annahme Geisslers, es handle sich um eine Nachzeichnung, viel Wahrscheinlichkeit für sich hat.

Peter Prange

1 Zit. nach Pfeiffer 1961, S. 57.
2 Vgl. Ausst.-Kat. Stuttgart 1984, S. 19, Nr. 16, Abb. S. 67

Details zu diesem Werk

Feder und Pinsel in Schwarz 557mm x 398mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1954-95 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 15.-18. Jh. Bildnachweis: Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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