Max Liebermann, Zeichner

Blick auf Noordwijk, um 1906

Seit 1905 verbrachte Max Liebermann die Sommermonate in dem holländischen Küstenort Nordwijk, um dort unmittelbar vor der Natur zu zeichnen. Das Elementare der Landschaft, das weite, sich zum Horizont ausdehnende Land, der Himmel und seine Wolkenbewegungen faszinierten ihn: „Mit Recht hat man Holland das Land der Malerei par excellence genannt, und es ist kein Zufall, dass Rembrandt ein Holländer war (...); die wässrige Atmosphäre lässt die Härte der Konturen verschwinden und gibt den weichen, silbrig-grauen Ton; (...) alles erscheint wie in Licht und Luft gebadet. Dazu die Ebene, die das Auge meilenweit ungehindert schweifen läßt.“ Während „Italien zu pittoresk ist“, erscheine Holland, so Liebermann, „auf den ersten Blick langweilig: Wir müssen erst seine heimlichen Schönheiten entdecken. In der Intimität liegt seine Schönheit. Und wie das Land so die Leute: nichts Lautes, keine Pose oder Phrase.“ (M. Liebermann: Die Phantasie in der Malerei, Frankfurt am Main 1978, S. 83-84).

In zahlreichen Studien hat Liebermann den Blick von den Dünen aufs Meer oder, wie in unserem Blatt, weiter in das Land hinein mit den Häusern von Nordwijk und seiner Kirche festgehalten. Mit der tiefen Horizontlinie und dem beeindruckenden Wolkenspiel erinnern die Studien an die holländischen Landschaftsbilder des 17. Jahrhunderts eines Jacob van Ruisdael oder Jan van Goyen. Leicht und mit raschen Strichen gezeichnet, geben sie mit wenigen Mitteln suggestiv die kraftvolle Stimmung der Küstenlandschaft wieder. „Solche Ansichten, in einer Sitzung zumeist auf Malkarton hingeworfen, entstanden viele seit dem Jahre 1906, (...) oft geriet bei der rapiden Arbeitsweise ein Vordergrund nicht ganz, stets aber sind sie charakteristisch, ähnlich und, obgleich in der Empfindung ganz unromantisch, großartig wie die Natur“ (E. Hancke: Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1914, S. 450).

Auch die Hamburger Zeichnung gehört zur Gruppe der Skizzen, die Liebermann als Vorlagen für sein Bild „Dünen von Nordwijk“ von 1906 nutzte (Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie). Das mit breiten Pinselstrichen angelegte Gemälde betont die bewegte, luftige Atmosphäre der Seeküste, während die Kreidestudie durch den Kontrast zwischen dem imposanten Wolkenschauspiel und der ruhig daliegenden Landschaft insgesamt spannungsreicher wirkt. So reichen viele dieser Zeichnungen in ihrer Eigenständigkeit über den vorbereitenden, studienhaften Charakter hinaus. Der freie, fast impressionistische Duktus der Nordwijk-Studien hat Liebermanns Zeitgenossen begeistert: Allein 17 Zeichnungen und Lithographien mit unterschiedlichsten Ansichten wurden auf der „Berliner Secession“ im Winter 1909/10 gezeigt, darunter sicher auch unser Blatt, das als eines der eindrucksvollsten Beispiele der Serie in der Zeitschrift „Kunst und Künstler“ 1910 publiziert wurde.

P. R.

Details zu diesem Werk

Schwarze Kreide, laut Inv.Buch 1948-1964, S.57 Tusche und Kohle 269mm x 338mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1952-92 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1850-1900 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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