Jan van Huysum, Zeichner

Blumenvase mit Puttenrelief, um/vor 1724

Für diese energisch auf das Blatt geworfene Skizze verwendete Jan van Huysum zunächst Kreide und Pinsel, bevor er die Zeichnung abschließend mit in Öl getränkter Holzkohle überarbeitete. Dieses Material, mit dem sich ein besonders satter, weicher Strich erzielen ließ, wurde im 18. Jahrhundert vergleichsweise selten verwendet. Generationen zuvor war es weit verbreitet gewesen – in der Hamburger Kunsthalle finden sich Beispiele von Nicolaes Berchem oder Anthonie Waterloo (Inv..-Nr. 21699, 22702, 22699, 22692, 22693, 22695).
Van Huysum gehört zu den wenigen Blumenmalern, deren Bildideen in einer großen Anzahl erhaltener Kompositionsentwürfe und Ideenskizzen dokumentiert sind. Die Vielzahl derartiger Studien zeigt die Bedeutung, die der Künstler dem Arrangement beimaß.(Anm.1) Auch auf vorliegendem Blatt sind die Pflanzen nur sehr flüchtig angedeutet. Nur wenige Blumen lassen sich eindeutig bestimmen, z. B. die Kaiserkrone oben rechts und die am anderen Ende der Diagonale dargestellte Tulpe. Möglicherweise zeichnete der Künstler dieses Blatt ganz aus der Phantasie: Nach Bericht seines Zeitgenossen Christiaan Josi zeichnete Van Huysum vorwiegend abends und in der dunklen Jahreszeit, und mindestens im Winter waren die dargestellten Blumen nicht verfügbar.(Anm.2)
Die im frühen 17. Jahrhundert als Motiv überaus beliebte Puttenvase gehörte wohl zu seinen Werkstattrequisiten: Dieses Gefäß begegnet auf zahlreichen Studien und Bildern, zu deren frühesten ein um 1715 datiertes Gemälde in London gehört.(Anm.3) Zu einem Blumenstück von 1724 steht unser Blatt offensichtlich in direkter Relation,(Anm.4) was auf eine Funktion als Erstentwurf oder „vidimus“ für potentielle Kunden und Auftraggeber schließen lässt, in Anlehnung an die in gleicher Technik gearbeitete Landschaftsstudie Inv.-Nr. 22059. Der sich daraus ergebende Terminus ante quem für die Datierung der Zeichnung qualifiziert unser Blatt als eines der frühesten Blumenstücke in Ölkohle: Andere Zeichnungen in gleicher Technik sind als Vorarbeiten zu datierten Gemälden deutlich später, um 1730/33 anzusetzen.(Anm.5)
Wohl im Anschluss an diesen Erstentwurf entwickelte Van Huysum die Komposition in detaillierten Zeichnungen weiter. Eine ähnlich spontan wirkende aquarellierte Kreideskizze übernimmt im Wesentlichen das auf unserem Blatt angedeutete Arrangement der Blumen bei größerer Detailfreude: So lässt sich dort der größte Teil der Pflanzen genau bestimmen und das zentrale Motiv der Komposition, eine Tulpe mit mittig abgeknicktem Stil, kommt deutlicher zur Geltung.(Anm.6) Davon ausgehend, können weitere Blumen unserer Studie identifiziert werden: Gartenanemone, Pfingstrosen, Hyacinthe, Rittersporn, Apfelblüte, Gartenschlüsselblumen, Schachblume und Centifolien.(Anm.7)
Eine weitere Vorzeichnung zu dem Gemälde befindet sich in Berlin.(Anm.8) Während der Reliefschmuck der Vase auf allen drei Zeichnungen übereinstimmt, findet sich auf dem Gemälde ein abweichendes Arrangement der Puttenornamentik.

Annemarie Stefes

1 Christopher White: The Flower Drawings of Jan van Huysum, Leigh-on-Sea 1964, S. 8; verwandte Studien gleichen Formats befinden sich z. B. in den Staatlichen Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 5748, Christopher White: The Flower Drawings of Jan van Huysum, Leigh-on-Sea 1964, Nr. 11; London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. 1910,0212.150, ebd. Nr. 30; München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 2125, ebd. Nr. 90.
2 Zitiert nach Christopher White: The Flower Drawings of Jan van Huysum, Leigh-on-Sea 1964, S. 8.
3 London, Dulwich Picture Gallery, Inv.-Nr. DPG 120, Vom Adel der Malerei. Holland um 1700, hrsg. von Ekkehard Mai, Sander Paarlberg, Gregor J.M. Weber, Ausst.-Kat. Köln/Dordrecht/Kassel 2006, Nr. 29.
4 Los Angeles County Museum of Art, Inv.-Nr. M 91.164.2, Sam Segal: De verleiding van Flora: Jan van Huysum 1682-1749, Ausst.-Kat. Delft, Stedelijk Museum Het Prinsenhof, Houston, Museum of Fine Arts, Zwolle 2006, Nr. F 15. Ein direkter Bezug zu einem Schabkunstblatt des Richard Earlom nach einem Gemälde Van Huysums, wie von Sitt 2009 vorgeschlagen, besteht m. E. nicht.
5 J. W. Niemeijer, Robert-Jan te Rijdt: Hollandse aquarellen uit de 18de eeuw, Ausst.-Kat. Paris, Fondation Custodia, Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Zwolle 1990, Nr. 29.
6 2006 in Kunsthandel Noortman Master Paintings, Maastricht, Sam Segal: De verleiding van Flora: Jan van Huysum 1682-1749, Ausst.-Kat. Delft, Stedelijk Museum Het Prinsenhof, Houston, Museum of Fine Arts, Zwolle 2006, Nr. F 16.
7 Vgl. Ausst.-Kat.Sam Segal: De verleiding van Flora: Jan van Huysum 1682-1749, Ausst.-Kat. Delft, Stedelijk Museum Het Prinsenhof, Houston, Museum of Fine Arts, Zwolle 2006, S. 197.
8 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 2816 (197 x 155 mm), White 1964, Nr. 7.

Details zu diesem Werk

Kohle, Ölkohle und Pinsel in Grau; Einfassungslinien (Feder in Grau) 395mm x 308mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1952-91 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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