Heinrich Olivier

Zar Alexander I. und König Friedrich Wilhelm III. vor gotischer Architektur, 1813

Nach dem gescheiterten Rußlandfeldzug Napoleons hatten Preußen und Rußland Ende Februar 1813 im "Friedens-, Freundschafts- und Bündnisvertrag" von Kalisch eine militärische Allianz gegen Frankreich geschlossen, mit der die Befreiungskriege begannen. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse und des Aufrufs von König Friedrich Wilhelm III. "An mein Volk" am 16. März entstand Oliviers Zeichnung, in der er seine patriotische Gesinnung und Hoffnung ausdrückte.
In dem feierlichen Ambiente eines neugotischen Sakralraumes reichen sich zwei junge Männer in mittelalterlichem Harnisch die Hand - Sinnbild einer Allianz, die durch das russische Wappen rechts und das preussische links sowie der Figuren des heiligen Georg und Johannes zu einem heiligen Eid beider Dynastien überhöht wird. Die Feierlichkeit des Bundes betonend, hat Zar Alexander I. die Hand auf die Brust gelegt, während Friedrich Wilhelm sie zum Schwur vor der repuplikanischen Devise "Zu(m) Kampf (für) die Frei(heit)" erhoben hat. Der Freiheitsaufruf ist vor dem Hintergrund der gotischen Architektur, die spätestens seit Goethes enthusiatischer Beschreibung des Straßburger Münsters allgemein von deutscher Herkunft galt, nicht nur national aufgeladen, sondern stellt die republikanische Devise gleichermaßen in den Dienst monarchischer Kräfte. Von den alten Mächten des Ancien regimés erhoffte sich Olivier, der selbst in den Befreiungskrieg gezogen war und dabei mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet wurde, die Befreiung und Einigung Deutschlands. Doch Oliviers Hoffnung trog. Zwei Jahre später, als auf dem Wiener Kongreß das Bündnis gegen Napoleon um Österreich zur "Heiligen Allianz" erweitert wurde, ersetzte Olivier in einer ähnlichen Darstellung den Freiheitsspruch der Republikaner durch das österreichische Wappen (Dessau, Anhaltinische Gemäldegalerie, Graphische Sammlung, vgl. Abb.). Die drei mittelalterlichen Ritter repräsentieren nun die sich konsolidierenden feudalen Monarchien Rußland, Preußen und Habsburg, die auf der Grundlage christlicher Normen die Restauration der alten Feudalordnung festschrieben und schon bald alle liberalen Tendenzen durch Zensur und Demagogenverfolgung unterdrückten.
Oliviers schwärmerischer Rückblick ins Mittelalter, das einst als Grundlage eines neuen bürgerlichen Reichsstaates gemeint war, wurde durch die Wirklichkeit restaurativer Machtpolitik ersetzt. "So bezeichnen die beiden Darstellungen schlaglichtartig den hoffnungsvollen Anfang und das Ende des Befreiungskampfes. Sie zeigen aber auch, wie schnell bei den Wiener Romantikern die patriotische Verehrung des Mittelaters in die politische Reaktion einmünden konnte" (Schoch, 126).

Peter Prange

Details zu diesem Werk

Tusche, weiß und gold gehöht 309mm x 296mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1950-237 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback
Weitere Werke von
Heinrich Olivier