Girolamo da Carpi (Nachahmer)

Zwei antike Szenen (nach Polidoro da Caravago), 1549-1553(?)

Die umfangreichen Fassadenmalereien Polidoro da Caravaggios sind heute nahezu vollständig verloren, sie können jedoch aufgrund einer Vielzahl von Nachzeichnungen zu größeren Teilen rekonstruiert werden.
Die Hamburger Zeichnung überliefert Szenen aus der legendären Frühzeit Roms, die Polidoro da Caravaggio kurz vor 1527 oberhalb des Eingangsbereichs des Palastes Milesi in der Via della Maschera d’ Oro Nr. 7 freskiert hatte. Links sieht man wie König Numa Pompilius dem Volk Gesetze gibt, rechts davon wird der Raub einer Sabinerin geschildert.(Anm.1)
Ein Bildvergleich mit den Kopien anderer Künstler nach diesem Fries verdeutlicht, dass auf dem Hamburger Blatt zwei von Polidoro auf getrennten Bildfeldern angeordnete Szenen zusammengefügt wurden. Zudem wurde die den Betrachter anschauende Jünglingsfigur durch eine halbnackte Frauengestalt ersetzt.(Anm.2) Trotz zahlreicher Übereinstimmungen im Detail ist somit eine schöpferische Auseinandersetzung mit dem Vorbild erkennbar.
John Gere schrieb das Blatt 1969 per Kartonnotiz Girolamo da Carpi oder einem Kopisten da Carpis zu. Typisch für den Künstler sind die virtuose Linienführung, die Sicherheit der Figurenbehandlung, der starke Einsatz der Lavierung sowie der Gesichtstypus der mittleren Frauenfigur.(Anm.3)
Carpi hielt sich zwischen 1549 und 1553 im Auftrag von Kardinal Ippolito d’ Este als Archäologe und Verwalter von dessen Antikensammlung in Rom auf. Es wäre denkbar, dass die Zeichnung nach Polidoro in jener Zeit entstanden ist. Dies gilt auch für eine Studie nach Raffaels Disputà, deren Zeichenweise mit der des Hamburger Blattes vergleichbar ist.(Anm.4)
Trotz dieser Übereinstimmungen mit Aspekten von Carpis Zeichenstil, bleiben Zweifel, da der vor allem durch die helle Lavierung geprägte „leichte“ Gesamteindruck des Blattes für diesen Künstler ungewöhnlich ist. Eine mögliche Erklärung wäre, dass eine originale Carpi-Zeichnung zu späterer Zeit „aufgelockert“, kopiert worden ist. Vor diesem Hintergrund ist interessant, dass das Blatt 1949 im Auktionshandel als „Französisch um 1700“ erworben worden ist. Unabhängig davon hat Christel Thiem per Kartonnotiz den zeitlichen Rahmen erweiternd, unter Vorbehalt einen französischen Künstler des 18. Jahrhunderts vorgeschlagen. Dies wäre ein bemerkenswertes, weil spätes Beispiel für eine Rezeption der Fresken Polidoros. Für eine Entstehung im 18. Jahrhundert spricht auch das Wasserzeichen.
Eine von Elisabetta Saccomani 2001 vorgeschlagene Zuschreibung an Battista Franco ist nicht überzeugend und fand auch im Werkverzeichnis von Ann Varick Lauder keine Berücksichtigung.(Anm.5)

David Klemm

1 Vgl. die Dokumentation bei Lanfranco Ravelli: Polidoro Caldara da Caravaggio. I. Disegni di Polidoro II. Copie da Polidoro, Monumenta Bergomensia XLVIII, Mailand 1978, S. 369 (Gesamtansicht der Fassade) und S. 411–416 (Details).
2 Vgl. ebd.
3 Vgl. z. B. London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. 1952-3-19-1; vgl. John A. Gere, Philip Pouncey, unter Mitarbeit v. Rosalind Wood: Italian Drawings in the Department of Prints and Drawings in the British Museum. Artists Working in Rome c. 1550 to c. 1640, 2 Bde., London 1983, I, S. 99, Nr. 158.
4 London, Victoria & Albert Museum, Inv.-Nr. D 1051-1900; vgl. Peter Ward-Jackson: Victoria and Albert Museum Catalogues: Italian Drawings, Bd. 1: 15th-16th-century; Bd. 2: 17th -18th century, London 1979 , I, S. 59, Nr. 119.
5 Elisabetta Saccomani: Tre studi preparatori per incisioni di Battista Franco e qualche appunto sulle sue fonti figurative, in: Scritti di storia dell’arte in onore di Silvie Béguin, hrsg. v. Mario Di Giampaolo, Elisabetta Saccomani, Neapel 2001, S. 249-261, S. 253.

Details zu diesem Werk

Feder in Schwarz über schwarzem Stift, grau laviert auf hellgrauem Papier; aufgezogen 261mm x 413mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1949-175 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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