Joseph von Führich
Macbeth sieht Banquos Nachkommen als Könige, 1850
In den 1850er Jahren schuf Joseph von Führich vorwiegend zeichnerische Arbeiten, die als Auftragswerke oder als Vorlagen für den Kupferstich entstanden. Beeinflusst durch die frühere Zusammenarbeit mit Friedrich Overbeck und den Künstlern des Lukasbundes in Italien, zeigt sich in dieser erneuten Hinwendung zur Zeichnung seine tiefe Verwurzelung in der Kunst der Nazarener. So wurde Führich entscheidend von der nazarenischen Vorstellung geprägt, die in dem Medium der Zeichnung das erste und entscheidenste Element im Kunstwerk sah. In dieser Auffassung wurden die Künstler durch die Schriften Friedrich Schellings bestätigt, der in seiner „Philosophie der Kunst“ von 1809 die herausragende Bedeutung der Zeichenkunst betont, aber auch die Bedingungen für eine gute Zeichnung benannt hatte: „Die letzte und höchste Forderung an die Zeichnung ist endlich, dass sie nur das Schöne, das Nothwendige, das Wesentliche auffasse, das Zufällige und Überflüssige aber vermeide.“ (zit. nach Ausst.-Kat. Deutsche Romantik. Aquarelle und Zeichnungen. Museum Georg Schäfer, Schweinfurt 2000, S. 22). Auf diesen Ideen beruht schließlich die nazarenische Forderung nach einer präzisen Ausarbeitung der Zeichnung, in der Linie und Schraffur eine sich gegenseitig ergänzende Verbindung eingehen, verbunden mit einer großen Detailgenauigkeit.
Ganz im Sinne dieser Prämissen gestaltet Führich seine Illustration zu Shakespeares „Macbeth“ als voll ausgeführte bildmäßige Bleistiftzeichnung. Das Blatt war ursprünglich für ein Geschenkalbum bestimmt, das der österreichische Kaiser Franz Joseph anlässlich der ersten Weltausstellung in London 1851 Königin Victoria überreichen wollte. Dargestellt ist die erste Szene des vierten Akts von Shakespeares Drama: In einer finsteren Felsenhöhle trifft Macbeth auf die drei Hexen, die ihm als als zukünftige Könige die Nachkommen seines Widersachers Banquo prophezeien. Die acht Könige schreiten mit Zepter und Krone an Macbeth vorbei, der letzte trägt einen Spiegel, in dem der mörderische König noch weitere Nachfolger erblickt. Links sitzen die geifernden Hexen, begleitet von einer Eule, die das nächtliche Spektakel mit weitaufgerissenen Augen verfolgt. Beleuchtet wird die dramatische Handlung durch den Feuerschein eines glühenden Kessels, der die Figuren von unten in ein gleißendes Licht taucht. Dabei gelingt es Führich brillant, durch die Abgrenzung von feinsten Hell- und Dunkelschraffuren mit nuancenreichen Grauabstufungen die Dramatik dieses gespenstischen Szenario bühnenreif zu inszenieren.
P. R.