Philipp Otto Runge

Drei Amphoren, 1800

Berefelt hatte das allseitig beschnittene, ehemals gefaltete Blatt mit der Darstellung dreier Vasen in den Zusammenhang mit Runges Kopien nach Tischbeins Vasenwerk über die zweite Sammlung des William Hamilton gebracht (vgl. Inv. Nr. 1938-140 und Inv. Nr. 1938-141), was durch Traeger bestätigt wurde, doch konnten beide die dargestellten Vasen nicht identifizieren. Mildenberger betonte deshalb, dass sich Runge bei der Darstellung der Vasen Tischbeins Vasenumrisse aus Hamiltons Sammlung produktiv zu eigen gemacht hätte, „indem er nun die Form von Amphoren nicht nur in Umrissen, sondern auch in dreidimensionaler Anschauung mit Schattenwurf zeichnete.“ (Anm. 1) Wie die Rückführung des Umrisses in die Dreidimensionalität zeige, „war sich Runge des besonderen Charakters zeichnerisch linearer Abstraktion, des visuell-filternden Vorganges bei der Entstehung der Umrisszeichnungen zu Hamiltons ‚Vases‘ bewusst, indem er versuchsweise die Rücksetzung der flächigen Stichen in die nach den vorgegebenen Möglichkeiten rekonstruierte ursprüngliche Vorlage übte.“ (Anm. 2)
Die Annahme, Runge habe versucht, die flächigen Umrisse plastisch wiederzugeben, erweist sich vor dem Hintergrund der Identifizierung der Vasen allerdings als unzutreffend, denn auch bei dieser Zeichnung handelt es sich um keine eigenständige Zeichnung, sondern ebenfalls um eine Kopie. Die drei Vasen, von denen vor allem die linke und mittlere tatsächlich den Anschein neoklassizistischer Neuschöpfungen erwecken, stammen ebenfalls aus Hamiltons Sammlung, doch aus seiner ersten, 1772 ans British Museum in London veräußerter Vasensammlung. Hamilton hatte auch diese Sammlung vorher in einer großen Stichpublikation bekannt gemacht, die Pierre-François Hugues, der selbsternannte Baron d’Hancarville, in vier Bänden besorgt hatte (Anm. 3). Die Bände wurden 1766 und 1767 gedruckt, doch verzögerte sich deren Auslieferung bis in die 1770er Jahre.
Die Zeichnung Runges zeigt drei griechische Vasen nebeneinander, die in Hancarvilles Stichwerk als Einzeltafeln abgebildet sind. Im Einzelnen handelt es sich bei den Vasen, die sich noch heute im British Museum befinden, links um eine Oinochoe (Anm. 4), die in Band IV auf Tafel 67-68 erscheint, in der Mitte um eine Bauchlekythos (Anm. 5), die in Band III auf Tafel 32-33 erscheint, und rechts um eine apulische Oinochoe (Anm. 6), die dem Hamilton-Maler zugeschrieben wird und in Band II auf Tafel 23-24 sowie in Band III als Abrollung auf Tafel 126 abgebildet ist. Runges schöpferische Eigenleistung könnte in diesem Falle allenfalls in der neuartigen Kombination dreier Vasen auf einem Blatt liegen, die im Stichwerk auf einzelnen Tafeln erscheinen.
Während die beiden Vasen links und in der Mitte den Stichen bei Hancarville auch in der Angabe der Schattierung entsprechen, wird die apulische Oinochoe rechts von Runge aus einem anderen Blickwinkel, also mit einem anderen Bildausschnitt gezeigt als in Hancarvilles Stichwerk. Auch zeigt Runge zwischen dem sitzenden Eros links und der stehenden Frau eine Art Fenster- oder Türarchitektur, die auf Hancarvilles Illustration nicht sichtbar ist. Zudem wird die Vase ohne Schattierung in reiner Orthogonalansicht dargestellt, während die beiden anderen Vasen in leichter Aufsicht gegeben sind, weshalb zu vermuten ist, dass Runge eine andere Vorlage benutzt hat. 1785 hatte Hancarville, inzwischen in Paris lebend, eine Neuausgabe mit Zeichnungen von François-Anne David besorgt, in dessen zweitem Teil zwar die apulische Oinochoe mit demselben Bildausschnitt wie bei Runge abgebildet ist, doch ist die Darstellung, die Runge genau wiedergibt, kaum erkennbar ist (Anm. 7). Die Abbildung in der Neuausgabe gibt die Oinochoe gegenüber der Erstausgabe spiegelverkehrt in leichter Aufsicht wieder und kann deshalb Runge nicht als Vorlage gedient haben.
Eine Abbildung in der von der preußischen Technischen Deputation für Gewerbe 1821-1837 in Berlin herausgegebenen Publikation „Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker“ - einer Art Musterbuch mit 151 Tafeln, das als Lehrmaterial für die neugegründeten preußischen Gewerbeschulen gedacht war – macht es allerdings auch unwahrscheinlich, dass Runge die verschiedenen Ansichten der Vasen neu kombiniert und sie dazu noch perspektivisch unterschiedlich behandelt hat. Dort erscheint als Vorbild für Vasen eine Tafel, auf der ebenfalls die drei Vasen aus der Sammlung Hamilton abgebildet werden, allerdings in einer anderen Reihenfolge von oben nach unten angeordnet. Genauso wie bei Runge wird die apulische Oinochoe ohne den Schatten und als Orthogonalansicht wiedergegeben, während die beiden anderen Vasen mit ihrem Schattenwurf und in leichter Aufsicht gegeben sind (Anm. 8). Runge muss deshalb eine bisher unbekannte Vorlage zur Verfügung gehabt haben, oder Runges Autorschaft ist überhaupt in Zweifel zu ziehen. Tatsächlich sind vergleichbare Blätter wie die Kopie dreier Schädel nach Charles Errard (Anm. 9) in der Schattengebung, aber auch im Ganzen zeichnerisch differenzierter. Als Autor in Frage kommen könnte auch Runges Sohn Otto Sigismund, der als Bildhauer jung in St. Petersburg verstorben ist und zum Zeitpunkt des Erscheines der genannten Publikation „Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker“ Schüler von Friedrich Tieck in Berlin war.

Peter Prange

1 Mildenberger 1986, S. 34.
2 Mildenberger 1986, S. 34.
3 Pierre-François Hugues D’Hancarville : The Complete Collection of Antiquities from the Cabinet of Sir William Hamilton, 4 Bde, Neapel 1766/67.
4 Etruskische Oinochoe, London, British Museum, Inv. Nr. 1772.0320.41, vgl. Collection of Etruscan, Greek and Roman Antiquities from the Cabinet of the Hon. W. Hamilton his Britannick Maiestys Envoy Extraordinary and Plenipotentiary at the Court of Naples, Bd. IV, Neapel 1767, Taf. 67-68.
5 Bauchlekythos, London, British Museum, Inv. Nr. 1772.0320.720, vgl. Collection of Etruscan, Greek and Roman Antiquities from the Cabinet of the Hon. W. Hamilton his Britannick Maiestys Envoy Extraordinary and Plenipotentiary at the Court of Naples, Bd. III, Neapel 1767, Taf. 32-33.
6 Apulische Oinochoe, London, British Museum, Inv. Nr. 1772.0320.335, vgl. Collection of Etruscan, Greek and Roman Antiquities from the Cabinet of the Hon. W. Hamilton his Britannick Maiestys Envoy Extraordinary and Plenipotentiary at the Court of Naples, Bd. II, Neapel 1767, Taf. 23-24, Bd. III, Taf. 126.
7 Antiquités etrusques, grecques und romaines, gravées par François-Anne David. Avec leurs explications par d’Hancarville, Bd. II, Paris 1785, Tafel 27, vgl. auch Henry Moses: A Collection of antique Vases, Altares, Paterae, Tripods, Candelabra, Sarcophagi etc. from various Museums and Collections, London 1814, Tafel 11.
8 Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker, Zweite Abtheilung, Berlin 1821, Blatt 1, http://ww2.smb.museum/schinkel/index.php?id=1517424
9 Schädel en face, im Profil und von unten, Bleistift, Pinsel in Grau und Schwarz, 205 x 329 mm, Privatbesitz, vgl. Traeger 1975, S. 338, Nr. 254, Abb.

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Pinsel in Grau über Bleistift auf leicht bräunlichem Papier 155mm x 312mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1938-142 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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