Julius Schnorr von Carolsfeld
Bildnis des Karl Reichsfreiherrn vom und zum Stein, 1821
Karl Freiherr vom und zum Stein war der Reformator der preußischen Verwaltung. Nach dem Wiener Kongreß, auf dem die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bestätigt worden war, gab er seine staatsmännischen Ämter auf und widmete sich der Bildung des historischen Bewusstseins der deutschen Bevölkerung. Unter anderem rief er die "Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde" ins Leben, von der die "Monumenta Germaniae historica", die bedeutendste systematische Sammlung deutscher Urkunden, herausgegeben wird.
Vom Dezember 1820 bis zum April 1821 hielt sich Freiherr vom Stein in Rom auf, um in der Bibliotheca Apostolica Vaticana nach Schriftquellen zu forschen. Seine Begeisterung für das Mittelalter brachte den freundschaftlichen Umgang mit den nazarenischen Künstlern mit sich, und so zeichnete Julius Schnorr von Carolsfeld den bedeutenden Historiker auf Wunsch des preußischen Gesandten am Heiligen Stuhl, Barthold Georg Niebuhr. Das Bildnis entstand im März und wurde Niebuhr am 3. April 1821 übergeben. Während der gleichen Modellsitzung zeichnete auch Friedrich Olivier ein Bildnis des Freiherrn (Frankfurt am Main, Städelsches Kunstinstitut; Ausst.-Kat. Mainz 1994, S. 86; Replik in München, Staatliche Graphische Sammlung; Ausst.-Kat. München 1979, S. 63-64, Nr. 25).
Schnorr fertigte von dieser ersten, wahrscheinlich verlorenen Zeichnung nach dem Leben zwei Wiederholungen, eine für Niebuhrs Nachfolger im Amt, Christian Carl Josias Bunsen, eine für die dänische Kronprinzessin Karoline Amalia von Dänemark, seit 1815 Gattin des späteren Königs Christian VIII. Die Zeichnung für Bunsen lässt sich wohl mit dem inzwischen in Lübeck befindlichen Blatt identifizieren (Ausst.-Kat. Mainz 1994, S. 86, Nr. 25). Hutter und Lhotsky irrten, als sie das Hamburger Blatt als das Bildnis nach dem Leben bezeichneten (vgl. Hutter/Lhotsky 1973). Sie kannten wahrscheinlich die Beischrift auf dem alten Untersatzkarton nicht, die wohl von Karoline Amalia selbst stammt, so dass es sich bei der Hamburger Version um die Replik für die dänische Kronprinzessin handeln wird.
Noch 1866 kopierte Schnorr das Porträt erneut und zwar nach einer bereits 1832 von Theodor Rehbenitz angefertigten Durchzeichnung der Kopie Bunsens. Schnorr wollte diese Kopie für das Gemälde "Tod Friedrich Barbarossas" benutzen, verwendete sie aber später nicht (Apphun 1975, S. 57, Nr. 10A).
Die Kopie von 1866, die der Künstler an Max Jordan in Leipzig verschenkte, wurde dann von ihm nochmals nachgezeichnet und versehentlich auf 1822 zurückdatiert. Schnorr fügte dieses Blatt in sein berühmtes "Römisches Porträtbuch" ein (Wien, Akademie der bildenden Künste; Hutter/Lhotsky 1973, Abb. S. 71).
Gerade im Vergleich mit der viel späteren Wiener Fassung zeigt sich die außerordentliche Qualität der Hamburger Bildniszeichnung, deren minutiöse Federführung den Dargestellten äußerst feinfühlig charakterisiert. Der von Ludwig Grote angestellte Vergleich des Schnorr'schen Bildnissses mit dem von Olivier ist für die Psychologie des Dargestellten sehr aufschlussreich: "Bei Schnorr ist Stein der energische, zielbewußte Staatsmann, bei Olivier ist er ein milder, alter Mann mit verlorenem, romantischem Blick" (L. Grote: Die Brüder Olivier und die deutsche Romantik, Berlin 1938, S. 252). Nicht zufällig diente Schnorrs Bildnis des Freiherrn auch als Vorlage für die von Johannes Leeb 1825 angefertigte Büste in der Walhalla bei Regensburg (Hildebrand 1931, S. 152).
Andreas Stolzenburg