Willem van de Velde d. J., Zeichner

Segelboote bei ruhiger See vor einer Küste, 1677

Dieses spontan anmutende Seestück wurde wohl vor Ort aufgenommen und vom Künstler zu einem späteren Zeitpunkt monogrammiert.(Anm.1) Im Stil vergleichbare Graphitzeichnungen befinden sich in Greenwich und Berlin.(Anm.2)
Über die Bedeutung der eigenhändigen Beischrift am oberen Blattrand gehen die Meinungen auseinander. Zuletzt wurde sie von Jochen Wagner im Hamburger Ausstellungskatalog 1994 als Hinweis auf ein „Maas-Weitschiff in der Werft von Sluis 1677“ interpretiert.(Anm.3) „Weitschiffe“ („wijdschepen“) wurden tatsächlich im Rhein-Maas-Delta als Transportfahrzeuge eingesetzt, waren allerdings in der Regel mit nur einem Mast ausgestattet, während es sich bei dem kleinen Boot im Vordergrund um einen Zweimaster handelt. Der Bezug auf das Städtchen Sluis in der Provinz Zeeland, das im 17. Jahrhundert von allen Seewegen abgeschnitten war, ist mit Sicherheit auszuschließen, ebenso wie der Hinweis auf eine hier nicht dargestellte Werft.
Auch wäre ein kleines Transportschiff kaum Gegenstand einer eigenhändigen Bildüberschrift gewesen angesichts der Tatsache, dass die Beischriften der Van de Veldes in der Regel als Ereigniskommentare zu verstehen sind oder auf die Namen der dargestellten Schiffe verweisen. Aus diesem Grund ist eher Robinson zu folgen, der den schwer zu entziffernden Text unter Vorbehalt auf einen „im Juni 1677 weggehenden Monsieur“ bezog.(Anm.4) Das Wort „massier“ könnte sowohl auf den Schiffsnamen als auch auf einen hochgestellten Herrn an Bord eines der dargestellten Kriegsschiffe verweisen, und die im Hintergrund dargestellten Schiffsbewegungen wären durchaus im Sinne einer Aufbruchssitutation zu interpretieren.(Anm.5)
Ebenfalls 1677 dokumentierte Van de Velde die Seereise von Prinz Willem III. und Prinzessin Mary nach Ter Heide in einer Reihe stilistisch verwandter Zeichnungen, die heute größtenteils in Rotterdam verwahrt werden.(Anm.6) Diese Staatsaktion erfolgte in den Monaten November und Dezember, weshalb ein unmittelbarer Zusammenhang mit diesen Ereignissen für das im Juni 1677 entstandene Hamburger Blatt auszuschließen ist.

Annemarie Stefes

1 Michael S. Robinson in einem Brief vom 5. 8. 1972, Hamburger Kunsthalle, Archiv des Kupferstichkabinetts.
2 Ebenfalls nachträglich monogrammiert: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 30298, Bevers/Sölter 2008, Nr. 148; in gleichem Format wie die um 1675 angesetzten Blätter in Greenwich, National Maritime Museum, Inv.-Nr. PAF6884 (191 x 303 mm) und Inv.-Nr. PAF6885 (195 x 301 mm), Robinson 1974 a, Nr. 1112 und 1113.
3 „Den massner weyschipinge int werfte van sluis 1677“; der daraus abgeleitete ehemalige Titel „Die Reede von Sluis“ enthält allerdings einen Übersetzungsfehler („Reede“ für „werfte“),
4 „Den mass(?uier) wegh … g..n.. int (?laetst) van Junij 1677“, in einem Brief vom 5. 8. 1972.
5 Diese Möglichkeiten wurden in Betracht gezogen von Remmelt Daalder, Amsterdam, in einer E-Mail vom 21. 2. 2010.
6 Vgl. Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv.-Nr. MB1866/T 154 und Inv.-Nr. MB1866/T 158, vgl. Michael S. Robinson, Richard Weber: The Willem van de Velde Drawings in the Boymans-van Beuningen Museum Rotterdam, 3 Bde, Rotterdam 1979, Bd. 2, S. 68–73.

Details zu diesem Werk

Graphit; auf dem Kaschierpapier mehrfache Rahmenlinien mit Feder und Pinsel in Grau 196mm x 302mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1920-166 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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