Caspar David Friedrich

Hütte mit Ziehbrunnen auf Rügen, um 1802

Carl Schildener besaß fünf als Frühwerke bezeichnete „gleichartige kleine rügische Ansichten, die Friedrich in einer Zeit gefertigt hat.“ (Anm.1) Schildener maß Friedrichs wenigen Gouachen einen hohen Stellenwert bei und bevorzugte sie gegenüber manchem Ölgemälde, „weil sie mir eben den poetischen Charakter Rügens in seinen, von Gewässern durchschnittenen, bräunlichen, bläulichen, weißlichen Hügelgestaden und seinem ossianisch-magischen Dufte mehr als irgend eine andere, mir bekannt gewordene Ansicht Friedrichs von der Insel, wiederzugeben, theils weil sie zugleich wärmer und natürlicher als manches andere, insonderheyt Oelgemälde des Meisters zu sein scheint; denn der Drang zum Ausdruck des Poetischen, der augenscheinlich in ihm vorwaltet, mag ihn zuweilen zu Kontrasten verleiten, z. B. in zu wenig Vermittlung zwischen Vor- und Hintergründen, oder in sonstigem Auslassen von Übergängen, Mitteltinten oder Motiven, - was zwar frappiert, auch die Phantasie aufregt, aber das Gefühl kalt läßt.“ (Anm.2)
Schildener haben die frühen Rügen-Gouachen, von denen neben dem Blatt in Hamburg nur eine weitere in Weimar bekannt ist (Anm.3), deshalb fasziniert, weil sie im Sinne einer reinen Naturschilderung zu verstehen sind. Ihr vedutenhafter Charakter ist für sie prägend, doch deutet auf dem Hamburger Blatt die Blockierung des Blicks durch den verschatteten, nach rechts abfallenden Hügel, der den Blick in die Landschaft verstellt, das von Schildener beschriebene Potential zu Kontrasten und die vernachlässigte Vermittlung zwischen Vorder- und Hintergrund bereits an.
Die gut erhaltene Gouache, die ungewöhnlich farbfrisch ist, geht zurück auf eine Naturstudie, die am 16. Mai 1802 während Friedrichs Aufenthalt auf Rügen entstanden war und zum Kleinen Skizzenbuch von 1802/03 gehört. (Anm.4) Die Hamburger Gouache ist geringfügig größer, entspricht in den Landschaftsdetails aber vollkommen der Vorlage, einzig die Staffage ist verändert: anstatt des gehenden Mannes links neben dem Brunnen erscheint auf der Gouache jetzt eine Bäuerin mit Wassereimer.
Colin Bailey hat vermutet, dass Friedrich die Gouache-Technik von dem dänischen Landschaftsmaler Elias Meyer (1763-1809) gelernt hat (Anm.5), der sich 1800 in Dresden aufhielt und mit Friedrich bekannt war. (Anm.6) Aus technischer Sicht stünden Friedrichs Gouachen Meyers Werken besonders nahe, etwa seiner Gouache „Ansicht von Kopenhagen“ (Anm.7), doch bedurfte es für Friedrich kaum dieser Vermittlung. In ihrem auffälligen Realismus entsprechen die Rügenansichten den etwa gleichzeitig entstandenen Gouachen mit Motiven aus dem Plauenschen Grund (Anm.8), die an die Tradition der Dresdnerlandschaftsgouache des 18. Jahrhunderts – etwa bei Christian Ernst Wilhelm Dietrich oder Johann Georg Wagner im Umkreis der Meissener Porzellanmanufaktur –, aber auch zeitgenössischer Künstler wie Johann Philipp Veith anschließen. (Anm.9)
Die Gouache dürfte bald nach Anfertigung der Naturstudie noch 1802, möglicherweise noch im Sommer vor Friedrichs Rückkehr nach Dresden entstanden sein. (Anm.10) Die Topographie hatte erstmals Wilhelm-Kästner bestimmt, dem zufolge sich die dargestellte Landschaft in Mittelrügen in der Nähe des Jasmunder Boddens befindet. (Anm.11) Zschoche hat dagegen die Landschaft als einen Blick auf die Windmühle nahe Poseritz in Südrügen identifiziert und erkennt in den am Horizont erscheinenden Kirchtürmen die Silhouette Stralsunds. (Anm.12) Zschoches Lokalisierung hat deshalb viel Wahrscheinlichkeit, weil er auf ein weiteres Blatt in Dresden verweist, dass wie die Vorzeichnung zur Hamburger Gouache am selben Tag, am 16. Mai 1802 entstanden ist und ebenfalls zum Kleinen Skizzenbuch von 1802/03 gehört. Es zeigt eine Rügenlandschaft mit einer Windmühle und dem Poseritzer Hof im Mittelgrund. (Anm.13) Die Hamburger Gouache und die dazugehörige Vorzeichnung wiederholen „diesen Blick nach Süden aus größerer Entfernung von einer Anhöhe südlich von Bergen.“ (Anm.14)
Das von Zschoche erwähnte Blatt in Dresden mit der Windmühle bei Poseritz erweist sich noch aus einem anderen Grund als wichtig im Zusammenhang der Hamburger Gouache. Von den fünf im Besitz Schildeners befindlichen Deckfarbenblättern kamen 1845 nach seinem Tod vier am 30. September 1845 bei Rudolph Weigel in Leipzig zur Versteigerung (Anm.15); die Hamburger Gouache lässt sich diesen vier Blättern nicht mit letzter Sicherheit zuordnen (Anm.16), da neben dem Hamburger Blatt nur eine weitere Gouache aus Schildeners Besitz in Weimar bekannt ist. (Anm.17) Die Beschreibungen im Auktionskatalog sind zu unspezifisch, als sie eine genaue Zuordnung zulassen würden. Das Hamburger Blatt entspräche am ehesten Nr. 1215 – „Landschaft, Partie von der Insel Rügen“ -, doch lässt sich diese Gouache sicher mit dem Weimarer Blatt identifizieren. Es stammt aus der Sammlung des Freiherrn Rolas du Rosey und wurde 1864 mit dem Hinweis auf Schildeners Nachlass versteigert. (Anm.18) In der Sammlung Rolas du Rosay befand sich noch eine andere Gouache aus Schildeners Nachlass, deren Beschreibung im Auktionskatalog von 1864 dem Blatt in Dresden nahekommt: „Andere Ansicht auf Rügen mit klarer Luft, und einer Windmühle nebst ländlichen Wohnungen im Hintergrund, welcher malerisch beleuchtet ist. Cabinet Schildner 1217. Meisterhaft in Gouache ausgeführte Blätter, von poetischer Wirkung, ohne Figuren“. (Anm.19) Diese Beschreibung trifft zwar auch auf die Hamburger Gouache zu, doch abgesehen davon, dass sich auf dem Blatt nicht der Stempel der Sammlung Rolas du Rosey findet, schließt der Zusatz „ohne Figuren“ eine solche Identifizierung aus. Auf dem Blatt in Dresden ist keine Staffage sichtbar und es entspricht in der Anlage, in der Technik und in den Maßen der Vorzeichnung zur Hamburger Gouache, weshalb es sehr wahrscheinlich ist, dass es sich um die Vorzeichnung zu der heute verschollenen Gouache handelt, die sich ehemals im Besitz Schildeners befand. Im dessen Nachlass wird unter Nr. 1218 eine weitere Gouache „Seeansicht mit hohem felsigem Ufer“ genannt (Anm.20), für die ebenfalls eine Vorzeichnung existiert haben muss. Ein in Technik und Maßen den Vorzeichnungen in Dresden und Greifswald entsprechendes Blatt mit der Ansicht von Klein Stubbenkammer, das ebenfalls zum Kleinen Skizzenbuch von 1802/03 gehörte, befindet sich in Leipzig. Es ist wenige Tage später am 19. Mai 1802 entstanden und weist wie die beiden anderen Blätter die charakteristische Quadrierung zur Übertragung auf. (Anm.21) Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es bei den Blättern in Dresden und Leipzig um Vorzeichnungen zu den heute verschollenen, ehemals im Besitz von Schildener befindlichen Gouachen handelt, deren Motive aber jetzt bekannt sind. Im Umkehrschluss bedeutet dies zudem, dass auch für die Gouache in Weimar eine ehemals zum Kleinen Skizzenbuch von 1802/03 gehörige, eine in Maßen und Technik übereinstimmende Vorzeichnung existiert haben muss, die jedoch verschollen ist.

Peter Prange

1 In der Literatur schwankt die Angabe der im Besitz Schildeners befindlichen Gouachen zwischen vier und fünf; es müssen aber insgesamt fünf gewesen sein, weil Schildener neben einer Gouache mit einer „Ansicht von einem Berge ohnweit der Jasmunder Fähre“ in einer Anmerkung vier weitere Gouachen in seinem Besitz erwähnt, vgl. Schildener 1828, S. 43, zitiert nach Börsch-Supan 1973, S. 112-114.
2 Schildener 1828, S. 43.
3 Meeresbucht auf Rügen, Gouache über Bleistiftspuren, 130 x 207 mm, Klassik Stiftung Weimar, Inv. Nr. KK 513, vgl. Grummt 2011, S. 347, Nr. 347, Abb. Hinz 1966, Bd. 2, S. 63, Nr. 406, datiert die Gouache um 1806.
4 Hütte mit Ziehbrunnen, Bleistift, Feder in Braun, Pinsel in Grau, quadriert, 128 x 199 mm, Greifswald, Pommersches Landesmuseum, Inv. Nr. Gr 168/1970. B957, vgl. Grummt 2011, S. 324-325, Nr. 319, Abb.
5 Bailey 1991, S. 123.
6 Friedrich erwähnt ihn in einem Brief an Johann Ludwig Gebhart Lund vom Herbst des Jahres, vgl. Börsch-Supan 1973, S. 218.
7 Kopenhagen von Westen mit der Bastion Rysensteen, Gouache, 150 x 295 mm, Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, Kobberstiksammling, vgl. Friedrich 1991, S. 193, Nr. 71, Abb.
8 Vgl. Grummt 2011, S. 340-343, Nr. 337-340, Abb.
9 Börsch-Supan 1973, S. 17, hat auf die Ähnlichkeit mit Veiths Federzeichnungen hingewiesen.
10 Börsch-Supan 1973, S. 266.
11 Wilhelm-Kästner 1940, S. 73.
12 Zschoche 1998, S. 28.
13 Rügenlandschaft mit Windmühle, Bleistift, Feder in Braun, Pinsel in Grau, quadriert, 128 x 204 mm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 5711, vgl. Grummt 2011, S. 326-327, Abb.
14 Zschoche 1998, S. 28.
15 Verzeichnis der Kunstsammlung des verstorbenen Herrn Professor und Bibliothekar Karl Schildener, […], welche den 30. September 1845 zu Leipzig […] versteigert werden sollen, Leipzig 1845, S. 127, Nr. 1215-1218.
16 Nr. 2115 Landschaft, Partie von der Insel Rügen; Nr. 1216 Flußansicht ebendaher; Nr. 1217 Ansicht ebendaher, Nr. 1218 Seeansicht mit hohem felsigem Ufer ebendaher.
17 Vgl. Anm. 3.
18 Die Kupferstiche, Handzeichnungen und Kunstbibliothek, nachgelassen weiland durch Freiherrn Carl Rolas du Rosey, […], deren zweite Hälfte […], Montag, den 5. September 1864 und folgende Tage zu Leipzig im R. Weigel‘schen Kunst-Auktions-Lokale […] versteigert wird, Leipzig 1864, S. 577, Nr. 5833:“Ansicht von der Insel Rügen auf die See mit trübem Gewölk und schöner Beleuchtung des Mittelgrundes. Cabinet Schlidner […] 2115“.
19 Aukt.-Kat. Leipzig 1864, S. 578, Nr. 5834.
20 Vgl. Anm. 15.
21 Ob sie aufgetragen wurde, um die Komposition in ein größeres Format eines Aquarells oder einer Sepia zu übertragen, wie es Börsch-Supan 1973, S. 266, vermutet, muss hier offenbleiben.

Details zu diesem Werk

Gouache, Einfassungslinie (Pinsel in Schwarz) 139mm x 215mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1919-204 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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