Marco Ricci, zugeschrieben, Zeichner

Landschaft, um 1720/30

Die Zeichnung wurde 1915 von Gustav Pauli als Werk Guercinos angekauft. An Landschaftszeichnungen des Bolognesen erinnern die Verwendung von Parallelstrichen, die leichte Handhabung der Feder und die relativ lichte Gesamtwirkung. Trotz dieser Übereinstimmungen lässt die insgesamt gegenüber Guercino aufgelockertere Komposition eher an einen Zeichner aus dem 18. Jahrhundert denken. Keith Andrews und in der Nachfolge Tiziana Testi brachten die Hamburger Zeichnung mit Pietro Giacomo Palmieri (1737–1804) in Verbindung. Sie erkannten enge stilistische Bezüge zu einem Blatt in Edinburgh, das von Dennis Mahon Palmieri zugeschrieben worden war.(Anm. 1) Tatsächlich lassen sich die leichte, skizzenhafte Zeichenweise, die Verwendung von lockeren Parallelschraffen und die tiefenräumliche Anordnung gut vergleichen. Während die Zuweisung an Palmieri mit dessen übrigem Werk nicht optimal verbunden werden kann, lassen sich wie Teréz Gerszi betonte, zahlreiche Verknüpfungen zum Œuvre Marco Riccis (1676–1730) herstellen. Sie hat daher 1968 erstmals diesen Künstler als Urheber des Hamburger Blattes vorgeschlagen. Ihrer Ansicht nach ist die Studie aus stilistischen und kompositionellen Gründen in Riccis reiferer Zeit im dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts entstanden. Die tiefenräumliche, bühnenbildartige Anordnung der Szene findet sich in zahlreichen
Gemälden, Zeichnungen und Radierungen Riccis in ähnlicher Weise wieder. Gerszi führte als Beispiel die Radierung „Das Auftauchen des Bären“ an.(Anm.2) Charakteristisch für den Künstler ist die Fähigkeit, die verschiedenen Raumzonen durch die sich biegenden Bäume miteinander in Verbindung zu bringen. Typisch ist zudem die Verteilung von Licht und Schatten, wobei insgesamt die für Ricci charakteristische sehr lichte Wirkung erreicht wurde. In der gesamten Auffassung sehr gut vergleichbar mit den Blättern in Edinburgh und vor allem in Hamburg ist ein Blatt, dass 1989 im englischen Kunsthandel als aus dem „Umkreis Marco Riccis“ stammend angeboten wurde.(Anm.3) Die Ähnlichkeit betrifft vor allem die lockere Zeichenweise und die Leichtigkeit der Komposition. Zudem sind Charakteristika des Hamburger Blattes wiederholt: die sehr dichten Parallelschraffen am rechten Baum und die dunkle Verdichtung einzelner Laubregionen durch Lavierung und intensivere Verwendung der Tinte. Die Zusammengehörigkeit der Blätter ist auch durch die nahezu identische Größe untermauert (280 x 394 mm in Edinburgh und 278 x 396 mm in London zu 277 x 395 mm in Hamburg).
Interessanterweise wurde das im Kunsthandel angebotene Blatt zeitweilig mit dem im Veneto tätigen Geistlichen Don Bernardo Zilotti (1716–1780; vgl. Inv.-Nr. 1915-980) in Verbindung gebracht. Dieser wurde wiederum von Andrea Czére 2005 auch für das Hamburger Blatt als Urheber in Erwägung gezogen.(Anm.4) Zilotti kann aufgrund einer Signatur bzw. Beschriftung eine Zeichnung in Madrid zugewiesen werden, die ähnliche Charakteristika wie das Hamburger Blatt aufweist.(Anm.5) Dies betrifft vor allem die ähnliche dramaturgische Raumgestaltung und Behandlung von Baumrinde und Laubwerk. Unterschiedlich sind der etwas schwächere Einsatz der Lavierung sowie die Verwendung zweier Staffagefiguren. Insgesamt wirkt das Blatt in Madrid etwas kontrollierter gezeichnet. Die Herkunft der Blätter von einem Künstler ist daher fraglich.
Angesichts des heutigen Forschungsstandes wird deutlich, dass das Hamburger Blatt zu einer größeren Gruppe ähnlicher Zeichnungen gehört. Auch wenn die einzelnen Zeichner noch nicht mit absoluter Sicherheit zu bestimmen oder mit Radierungen bzw. Gemälden zu verbinden sind, ist doch sicher, dass sie in der Nachfolge Guercinos und unter dem starken Einfluss von Marco Ricci standen. Vieles deutet darauf hin, dass diese Blätter für einen im 18. Jahrhundert wachsenden Markt von Sammlern geschaffen wurden.

David Klemm

1 Edinburgh, National Gallery of Scotland, Inv.-Nr. D 1721
2 Teréz Gerszi: Three Newly Discovered Sketches by Marco Ricci, in: Master Drawings 5, 1967, Nr. 4, S. 396-399, S. 398, Abb. 2.
3 Aukt.-Kat. London, Christie’s, Old Master Drawings 4. 7. 1989, S. 55, Nr. 98, mit Abb.
4 Anlässlich des Symposiums „Italienische Altmeisterzeichnungen 1450 bis 1800“ am 27. und 28.10.2005 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.
5 Madrid, Prado, Inv.-Nr. F.D. 1.787; Abb., in: Mena Marqués 1990, S. 160. Es lässt sich nicht eindeutig sagen, ob es sich um eine Signatur oder eine Beschriftung eines Sammlers handelt.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun über schwarzem Stift, braun laviert; aufgezogen 277mm x 395mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1915-979 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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