Giovanni Volpato, Radierer
nach Bernardino Nocchi, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler

Die Vertreibung des Heliodor, nach 1779

Aus: Le stanze di Raffaello, Blatt 3

Nachdem Carlo Maratta erstmals eine großformatige Reproduktion der Vertreibung des Heliodor vorgelegt hatte (Inv.-Nr. 2431), vergingen mehr als 60 Jahre, bis sich wieder ein Graphiker dieser Herausforderung stellte. Es war Francesco Aquila, der 1722 in seiner Folge sämtlicher Hauptbilder der Stanzen auch dieses Fresko reproduzierte (vgl. Inv.-Nr. 2020-28-10). (Anm.1) Gegenüber Maratta war der Fortschritt hinsichtlich einer genauen Dokumentation beträchtlich. Aquilas Radierung war deutlich präziser und gab die Komposition auch seitenrichtig wieder. Typisch für diesen war auch eine lange Erläuterung, die den Inhalt des Bildes kirchenpolitisch einordnete. Im Vergleich beider Blätter wirkt Aquilas Radierung bei allen Verdiensten indessen angesichts der großen Dramatik des Geschehens etwas spannungsarm.

Den Schritt hin zu einer lebendigeren und im besten Sinne ‚farbigeren‘ Wiedergabe vollzog Giovanni Volpato, der sich seit den späten 1770er Jahren mit der Edition der großen Wandbilder der Stanzen befasste (vgl. Inv.-Nr. 1915-92). Volpatos Reproduktion beruht auf einer genauen Farbkopie von Bernardino Nocchi, der auch für weitere Druckgraphiken der Stanzen-Folge die Vorlagen lieferte. (Anm. 2) Volpatos Vertreibung des Heliodor ist gegenüber seinen Vorgängern deutlich kontrastreicher angelegt. Die Reproduktion liefert eine breite Palette tonaler Abstufungen von den hellen zu den dunkelsten Punkten. Feine Übergänge sorgen dafür, dass insgesamt ein harmonisch wirkendes Gewebe graphischer Linien entsteht. Insgesamt wirkt Volpatos Wiedergabe malerischer, so dass der Betrachter gleichsam Farben zu sehen meint. Auch hinsichtlich der Detailgenauigkeit setzt Volpato selbst gegenüber Aquila neue Maßstäbe. Ein markanter Unterschied weist die Verwendung von Schrift auf. So verzichtet Volpato – wie bei den anderen Blättern seiner Folge – auf Titel oder Erläuterungen und beschränkt sich stattdessen auf eine optisch eher aufdringliche Widmung an Papst Pius VI. Demgegenüber ist auffallend, dass sich Volpato hinsichtlich der architektonischen Rahmung der Szene an Aquila orientiert. Beide Graphiker verzichten auf eine Wiedergabe der reichen ornamentalen Gestaltung der Stanza.

Die Vertreibung des Heliodor ist nicht datiert, dürfte aber erst nach 1779 fertiggestellt worden sein. Damals waren die ersten beiden Blätter mit Szenen aus der Stanza della Segnatura mit den Nummern I und II dem Papst ausgehändigt worden (vgl. Inv.-Nr.1915-92). Warum Volpato mit der Nummerierung nicht in dieser Stanza fortfuhr und stattdessen das im Nachbarzimmer befindliche Wandbild mit der Vertreibungsszene mit der Nummer III versah, ist verwunderlich. Gründe für diesen unsystematischen Sprung müssen spekulativ bleiben; möglicherweise lag ein Wunsch des Papstes vor. Denn das im Wandbild anklingende Thema der Warnung an alle potentiellen Räuber kirchlicher Besitztümer war um 1780 genauso aktuell wie zu Raffaels Zeiten.
David Klemm

LIT (Auswahl): Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 46, Nr.
I.3; Marini 1998, S. 137, Nr. 216 (mit älterer Lit.)

1 Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 121, Nr. I.6; Abb. 6 auf S. 534.
2 Vgl. Yarker 2016.

Details zu diesem Werk

Radierung und Kupferstich 516mm x 734mm (Bild) 649mm x 974mm (Blatt) 576mm x 758mm (Platte) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1915-93 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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