Giovanni Volpato, Stecher
nach Giuseppe Cades, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder

Schule von Athen, 1779 (vollendet)

Aus: Le stanze di Raffaello, Blatt 1

1779 überreichte der aus Bassano stammende Graphiker Giovanni Volpato Papst Pius VI. eine großformatige Druckgraphik mit einer Wiedergabe der Schule von Athen. Der kunstsinnige Papst zeigte sich über die Reproduktion sehr erfreut, wohl auch deshalb, weil er ein sorgfältig handkoloriertes Exemplar erhalten hatte. Mit dieser besonderen Bekanntmachung startete eine druckgraphische Edition, die wie keine andere das Bild der Stanzen im Bewusstsein der Menschen verankerte. Diese Erfolgsgeschichte begann in den späteren 1770er Jahren. Volpato hatte damals gerade mit der für die europäische Geschmacksbildung wegweisenden Wiedergabe der Loggien Raffaels für Furore gesorgt (Inv.-Nrn. 2020-16, 58218, 58238). Dieser immense Erfolg dürfte ihn beflügelt haben, sich an die eminent schwierige Aufgabe der Reproduktion der Stanzen zu machen. Die Situation war insofern günstig, als Francesco Aquilas umfassende Edition (Inv.-Nr. 2020-28-10) bereits mehr als fünfzig Jahre zurück lag und Volpato über ein größeres technisches Können als sein Vorgänger verfügte. (Anm. 1) Zudem war die Nachfrage nach Abbildungen von Raffaels Schöpfungen angewachsen, seitdem die Päpste diese Gemächer stärker für die Öffentlichkeit geöffnet hatten. Ob es einen Auftraggeber für das ambitionierte Projekt gab, ist nicht bekannt. Die auf der Druckgraphik befindliche unübersehbare Widmung an den amtierenden Papst Pius VI. macht aber eine Unterstützung von Seiten des Vatikans sehr wahrscheinlich. (Anm. 2) Sicher ist, dass Volpato selbst als Verleger aktiv wurde. Die Editionsgeschichte der Stanzen-Folge ist kompliziert und trotz beachtlicher neuer Erkenntnisse noch nicht in allen Einzelheiten überschaubar. Bis vor wenigen Jahren war die allgemeine Ansicht, dass Volpatos Serie lediglich auf acht großformatige Blätter hin angelegt war. (Anm. 3) Von diesen hatte Volpato sieben selbst ausgeführt, die Messe von Bolsena aber seinem begabten Schwiegersohn Raphael Morghen anvertraut (Inv.-Nr. 40457). (Anm. 4) 2016 wurde nun bekannt, dass Volpatos Serie viel umfangreicher zu denken ist. Die Grundlage für diese von Simon Yarkes publizierte neue Erkenntnis ist das Auffinden von nicht weniger als siebzehn Farbkopien nach Hauptmotiven der Stanzen in der Royal Academy in London. (Anm. 5) Ein genauer Vergleich zeigt eindeutig, dass diese mit großer Sorgfalt von Stefano Tofanelli, Bernardino Nocchi und Giuseppe Cades ausgeführten Werke eindeutig als Modelli für Volpatos Edition dienten. Allerdings wurden aus nicht bekannten Gründen nur dreizehn dieser Vorlagen reproduziert, darunter die Hauptbilder der ersten beiden Stanzen, der Borgo-Brand und die vier Tondi der Stanza della Segnatura. (Anm. 6) Seltsam ist auch, dass nicht alle Reproduktionen eine Seriennummer erhielten und dass die vergebenen Nummern kein logisches System – etwa nach Stanzen sortiert – ergeben. Unabhängig davon bleibt festzuhalten, dass Volpato und Morghen zwischen 1779 und 1784 dreizehn überwiegend großformatige Reproduktionen veröffentlichten. Diese sind in formaler Gestaltung, Technik und in der Verwendung der Schrift sehr einheitlich, was durch Volpatos Gesamtleitung gewährleistet war. Hierzu zählt – wie an der Schule von Athen gut nachvollziehbar – ein großes Format und die verwendete Mischtechnik aus Kupferstich und Radierung. Tendenziell liefert die Folge eher eine malerische Wiedergabe der Fresken, wohingegen manches Detail vernachlässigt wurde. (Anm. 7) Übereinstimmend ist bei allen Hauptbildern zudem, dass sie keine Bildtitel, stattdessen aber eine unübersehbare Widmung an Pius VI. aufweisen. (Anm. 8) In einigen Fällen wurden Ergänzungsblätter mit Angaben sämtlicher dargestellter Personen veröffentlicht. (Anm. 9) Volpatos Schule von Athen – wie auch die anderen Blätter der Folge – hatten einen enormen Erfolg und hingen in vielen Innenräumen nicht nur des Adels, sondern auch des Bürgertums. Sie dienten als dekorativer Bilderschmuck (Anm. 10), boten aber auch den Kunsthistorikern ein gleichsam normatives Anschauungsmaterial. (Anm. 11) Volpatos beeindruckende Serie öffnete für viele Menschen den Weg zu Raffael und trug wohl wie keine zweite Folge von Reproduktionen zu seinem Ruhm bei.
David Klemm

LIT: Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 39, Nr. IV.8, Abb.
8a auf S. 287; Marini 1998, S. 138, Nr. 218; Höper 2001, S. 378, F 2.12 (mit älterer Lit.)

1 Volpato verfügte schon aufgrund der von ihm verwendeten Mischtechnik aus Kupferstich und Radierung über eine breitere Skala an Ausdrucksmöglichkeiten, die er virtuos einsetzte.
2 Yarkes 2016, S. 275.
3 Dabei handelt es sich um die Schule von Athen, die Disputa und den Parnass aus der Stanza della Segnatura sowie um die vier Hauptbilder der Stanza di Eliodoro sowie um die Messe von Bolsena aus der Stanza dell’Incendio; vgl. z. B. Höper 2001, S. 98.
4 Die Vorstellung einer achtteiligen Folge war schon insofern in Frage zu stellen, als die ebenfalls von Volpato verlegte Darstellung der drei Kardinaltugenden aus der Stanza della Segnatura (Inv.-Nr. 3152k) die Nummer „IX“ trägt.
5 Yarkes 2016.
6 Ausgespart blieben die vier hochrechteckigen Bilder im Gewölbe der Stanza della Segnatura, darunter etwa das Urteil Salomos.
7 Bewusst wurden auch optische „Bereinigungen“, wie bei der architektonischen Rahmung vorgenommen. So fallen Details wie die Mäander am Gurtbogen oder die Grotesken-Dekoration weg. Die in das Fresko hineinragende Türöffnung wird eliminiert, das Bildfeld von Volpato „im Sinne Raffaels“ zu Ende komponiert. Auch ergänzte er, wohl aus Gründen der Symmetrie, rechts unter der vom Bogen überschnittenen Figur ein Relieffeld; vgl. Höper 2001, S. 98–99.
8 Dies kann als ein kunstpolitischer Schachzug bewertet werden, da dieser Papst wie ehedem Julius II., der Auftraggeber Raffaels, als Erneuerer der Künste galt; vgl. Höper 2001, S. 98.
9 Vgl. z. B. Höper 2001, S. 373, Nr. F 1.4; S. 384, Nr. F 3.8; Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 39, Nr. 9, Abb. 9 auf S. 287.
10 So schrieb Giovanni Gori Gandellini 1816 „Queste stampe, sotto il cristallo, fanno il più bell’effetto, ed offrono la più nobile decorazione di un’apppartamento.“ (Diese Drucke machen im Licht der Kristallleuchter den besten Eindruck und bieten eine denkbar edle Dekoration für ein Zimmer); vgl. Gori Gandellini 15 (1816), S. 88–89, Anm. 60.
11 Hermann Grimm, der Ordinarius für Kunstgeschichte, hatte im Berliner Seminarraum Volpatos Reproduktionen nach Raffael fest montiert. Und noch 1883 – aus Anlass der Fertigstellung von Louis Jacobys Kupferstich nach der Schule von Athen – resümierte Anton Springer, dass Volpatos Version die bis dahin am weitesten verbreitete Wiedergabe war; zit. nach Höper 2001, S. 378.

Details zu diesem Werk

Kupferstich und Radierung; fest aufgelegt 574mm x 747mm (Platte) 640mm x 820mm (Blatt) Inv. Nr.: 1915-92 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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