Giovanni Battista Piranesi, Zeichner

"Idea d'un atrio reale" ("Idee einer königlichen Vorhalle"), um 1747/50

Die kleinformatige, komplex komponierte Zeichnung blieb von der Piranesi-Forschung lange Zeit relativ unbeachtet. Wilton-Ely hat diese mit Rötel quadrierte Studie offensichtlich 1978 erstmals als Vorzeichnung zu Piranesis Radierung „Idea d’un atrio reale“ bestimmt.(Anm. 1) Die Komposition greift zwei der frühen Architekturphantasien aus der ersten Radierserie des Künstlers, der „Prima Parte di Architetture e Prospettive“ von 1743, auf. Von den Blättern „Gruppo di Scale“ und „Gruppo di Colonne“ übernimmt Piranesi den Blick durch zwei über Eck geführte Arkadenbögen und den monumentalen Pfeiler, zu dem Treppen hinaufführen. Lingesleben wies darauf hin, dass eine weitere Zeichnung des Hamburger Kupferstichkabinetts (Kat.-Nr. 413) einen Zwischenschritt hin zur Radierung „Idea d’un atrio reale“ darstellt.(Anm. 2) Dort nähert sich Piranesi dem Hochformat, wobei die Architektur räumlich weiter distanziert gegeben wird. Der kompositionelle Reichtum des Blattes lässt die raffiniert-konstruierten Bühnenbilder der Galli Bibiena hinter sich und ähnelt den komplexeren Raumexperimenten der Carceri-Blätter.(Anm. 3)
Der anspruchsvollen Architekturdarstellung entspricht eine meisterhafte Zeichentechnik, die sich durch lebendige, freie Strichführung und differenzierte Lavierungen auszeichnet. Bei aller Virtuosität des Strichs bleibt die Konstruktion klar erkennbar.
Trotz aller Ähnlichkeiten der Zeichnung mit der seitenverkehrten Radierung bestehen diverse kleinere Unterschiede, was neben der Quadrierung mit Rötel die Einstufung als Vorzeichnung unterstützt. Die Änderungen dürfte Piranesi direkt beim Radieren vorgenommen haben. So ist die Kolonnade im mittleren Bildgrund auf der Radierung deutlicher herausgearbeitet. Neu hinzugefügt wurde die illusionistische Inszenierung des Entwurfs als eine an die Wand geheftete Zeichnung mit ausgerissenen und zum Teil eingerollten Rändern.
John Wilton-Ely hat die Zeichnung aus stilistischen Gründen in die späten 1740er Jahre datiert, was insofern problematisch ist, als die Radierung erst Anfang der 1760er Jahre in einer der Ausgaben der „Opere Varie di Architettura (…)“ nachweisbar ist.(Anm. 4) Der Künstler müsste also den Entwurf über mehrere Jahre hindurch liegen gelassen haben, um ihn dann bei einer für ihn passenden Gelegenheit zu verwenden.
Zur Montierung vgl. Inv.-Nr. 1915-638.

David Klemm


1 Wilton-Ely in Piranesi, bearb. v. John Wilton-Ely, Ausst.-Kat. London, The Arts Council of Great Britain, London 1978.
2 Vgl. Das Capriccio als Kunstprinzip. Zur Vorgeschichte der Moderne von Arcimboldo und Callot bis Tiepolo und Goya, hrsg. v. Ekkehard Mai, Ausst.-Kat. Köln, Wallraf-Richartz-Museum, Kunsthaus Zürich, Wien, Kunsthistorisches Museum im Palais Harrach, Mailand 1996, S. 332–333 (Beitrag Thomas Lingesleben). Vgl. Wilton-Ely 1994John Wilton-Ely: Giovanni Battista Piranesi. The Complete Etchings, 2 Bde., San Francisco 1994, I, S. 88, Nr. 50.
3 Das Capriccio als Kunstprinzip. Zur Vorgeschichte der Moderne von Arcimboldo und Callot bis Tiepolo und Goya, hrsg. v. Ekkehard Mai, Ausst.-Kat. Köln, Wallraf-Richartz-Museum, Kunsthaus Zürich, Wien, Kunsthistorisches Museum im Palais Harrach, Mailand 1996, S. 333.
4 Vgl. Corinna Höper: Giovanni Battista Piranesi. Die poetische Wahrheit – Radierungen, in Zusammenarbeit mit Jeannette Stoschek, Stefan Heinlein, Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart, Ostfildern-Ruit 1999, S. 323, Nr. 3.27.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun über schwarzem Stift, braun laviert; mit Rötel quadriert; montiert und mit einer Rahmung versehen 149mm x 108mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1915-640 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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