Giovanni Battista Piranesi, Zeichner

Karnevalstreiben vor einem Puppentheater in Venedig, 1744/45 (?)

Die Szene eines Kasperletheaters während des berühmten venezianischen Karnevals zeigt Piranesi im Gegensatz zu seinen dunklen und geheimnisvollen Kerkeransichten eher von seiner heiteren und leichten Seite, die dem Ambiente der Lagunenstadt eigentlich mehr entspricht. Die Kunst Giovanni Battista Tiepolos wird ihn dabei sicher beeinflusst haben. Während des venezianischen Karnevals im Februar jeden Jahres, der von burleskem, oft sittenlosem Treiben beherrscht wurde, errichtete man auf den zahlreichen Plätzen der Lagunenstadt Theaterbühnen, auf denen Szenen der Commedia dell’arte, des bekannten venezianischen Stehgreiftheaters, aufgeführt wurden. Piranesi zeigt hier eine kleine Theaterbühne, auf der eben solche komödiantischen Stücke dem Publikum in Form von Puppen präsentiert wurden. Ein unheimliches Flair umgibt die Rückenfigur in einem weiten Umhang, von der die Mitte der Komposition beherrscht wird.
Andreas Stolzenburg
Die Szene eines Puppentheaters während des venezianischen Karnevals zeigt Piranesi – ganz im Gegensatz zu seinen dunklen und geheimnisvollen Kerkeransichten oder monumentalen Architekturaufnahmen – von einer heiteren und leichten Seite. Das Blatt dokumentiert den venezianischen Brauch, während des Karnevals auf zahlreichen Plätzen Theaterbühnen zu errichten, auf denen Szenen der Commedia dell’Arte aufgeführt wurden.(Anm. 1) Piranesi schildert hier eine kleine Theaterbühne, auf der eben solche komödiantischen Stücke dem Publikum – allerdings mittels Puppen – präsentiert wurden. Die kleine Kastenbühne ist der besseren Sichtbarkeit halber hoch über der gedrängten Gruppe von Zuschauern errichtet. Die in verschiedene Kostüme gekleideten und maskierten Menschen scheinen dem Spiel jedoch keine gesteigerte Aufmerksamkeit zu schenken, da sie ganz offensichtlich stärker mit der Beobachtung der anderen Karnevalsteilnehmer beschäftigt sind. Besonders auffallend ist die Figur am rechten Rand, die Kontakt mit dem Betrachter aufzunehmen scheint. Eher abweisend und geheimnisvoll wirkt dagegen die Rückenfigur in weitem Umhang in der Bildmitte.
Das Blatt dokumentiert Piranesis großartige Zeichentechnik, wobei der gekonnte Umgang mit der Feder und die virtuos eingesetzte Lavierung unverkennbar auf den Einfluss Giovanni Battista Tiepolos zurückzuführen sind. Dessen überragende Zeichenkunst hatte Piranesi während seiner beiden Venedigaufenthalte 1744 bzw. 1745/47 studieren können.(Anm. 2) Eine Datierung der „Karnevalsszene“ in die Mitte der 1740er Jahre liegt daher nahe.
Neben dem Hamburger Blatt lassen sich vier weitere Zeichnungen nachweisen, die in Technik und Format eine Einheit bilden. Sie zeigen allesamt Figurengruppen: 1. „Tod des Julius Caesar (?)“ in New York (Anm. 3); 2. „Enthauptungsszene (?)“ in Washington (Anm. 4); 3. „Mordszene (?)“ in Washington (Anm. 5); 4. „Anbetung der Könige (?) in Oxford (Anm. 6). Innerhalb von Piranesis reichem zeichnerischem Werk stellt diese Gruppe von insgesamt fünf Blättern eine Ausnahme dar, da der Künstler offensichtlich weder vorher noch nachher derart große Studien von Figurengruppen angefertigt hat. Auffallend ist, dass sich die Mehrzahl der Szenen schwer deuten lässt. Angesichts dessen muss offen bleiben, ob die fünf Blätter in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen. Allerdings ist dies angesichts der Spannbreite zwischen der Hamburger Karnevalsszene und der Darstellung eines Kampfes in Washington schwer vorstellbar.
Sämtliche Blätter stammen mit großer Wahrscheinlichkeit aus einem Skizzenbuch, worauf die annähernd gleichen Maße und die unregelmäßigen Ränder an jeweils einer Seite – bei Hochformaten links, bei Breitformaten oben – hindeuten.(Anm. 7) Für die ehemalige Zusammengehörigkeit der Blätter spricht ebenfalls, dass sie eine auch auf anderen Piranesi-Zeichnungen vermerkte Beschriftung mit der Buchstabenfolge „B.P.L.“ und einer nachfolgenden Nummer aufweisen.(Anm. 8) Diese Abkürzung ist bislang nicht schlüssig aufgelöst worden. Hans Calman schlug als Lesart „Battista Piranesi Libro“ vor.(Anm. 9)
Charakteristisch für die hier vorgestellte Gruppe, aber darüber hinaus auch für zahlreiche andere Blätter, u. a. im Hamburger Kupferstichkabinett (vgl. Inv.-Nrn. 1915-644;1915-578;1915-649;1915-648), ist zudem die besondere Montierung der Zeichnungen. Sie wurden allesamt zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt auf hellgrauem Papier aufgeklebt, mit einer doppelten Umfassungslinie in brauner Feder versehen und erst anschließend mit „Piranesi“ bezeichnet. Dies ist daran erkennbar, dass auf dem New Yorker Blatt die Signatur über das Zeichenpapier hinaus auf die Unterlage läuft. Es ist vorstellbar, dass Piranesi selbst die Blätter auf diese Weise montiert hat. Möglicherweise reagierte er damit auf das gestiegene Interesse an seinen Zeichnungen. Graphologische Vergleiche weisen auffallende Übereinstimmungen vor allem mit Piranesis Handschrift der 1770er Jahre auf.(Anm. 10)

David Klemm

1 Vgl. Von Dürer bis Goya. 100 Meisterzeichnungen aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, bearb. v. Petra Roettig, Annemarie Stefes, Andreas Stolzenburg, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Hamburg 2001, S. 64 (Beitrag Andreas Stolzenburg).
2 Laut Andrew Robison hielt sich Piranesi zwischen Frühling und Frühsommer 1744 und von Juli 1745 bis August 1747 in Venedig auf. Vgl. Fünfzig italienische Zeichungen des 16.-19. Jahrhunderts aus der Sammlung Ratjen, bearb. v. David Lachenmann, Ausst.-Kat. Vaduz, Liechtensteinische Staatliche Kunstsammlungen, Bern 1995, o. S., Nr. 45, Anm. 11 (Beitrag David Lachenmann).
3 New York, Pierpont Morgan Library, Inv.-Nr. 1968.13.
4 Washington, National Gallery of Art, Wolfgang Ratjen Collection, Inv.-Nr. 2007.111.26. Die Szene könnte auch zeigen, wie der Erzengel Raphael dem blinden Tobit die Leber eines Fisches reicht, die ihn heilen wird. Allerdings ist in diesem Zusammenhang die Darstellung einer Frau mit entblößter Brust wenig sinnvoll.
5 Washington, National Gallery of Art, Wolfgang Ratjen Collection, Inv.-Nr. 2007.111.143.
6 Oxford, Ashmolean Museum, Parker 1038; vgl. Karl Theodor Parker: Catalogue of the Collection of Drawings in the Ashmolean Museum, II, Italian Schools, Oxford 1956, S. 521; Hylton A. Thomas: The Drawings of Giovanni Battista Piranesi, London 1954, Nr. 64.
7 Vgl. Fünfzig italienische Zeichungen des 16.-19. Jahrhunderts aus der Sammlung Ratjen, bearb. v. David Lachenmann, Ausst.-Kat. Vaduz, Liechtensteinische Staatliche Kunstsammlungen, Bern 1995, o. S., Nr. 45, Anm. 1.
8 Die Nummern lauten: Oxford: 113; Washington: 114 und 115; New York: 116; Hamburg: 118. Lachenmann hat zudem einige weitere der bislang nachweisbaren nummerierten Blätter aufgeführt. Vgl.Fünfzig italienische Zeichungen des 16.-19. Jahrhunderts aus der Sammlung Ratjen, bearb. v. David Lachenmann, Ausst.-Kat. Vaduz, Liechtensteinische Staatliche Kunstsammlungen, Bern 1995, o. S., Nr. 45 (Beitrag David Lachenmann). Auffallend ist, dass es sich ausschließlich um Nummerierungen über der Zahl 100 handelt. Die niedrigste Nummer – 107 – trägt offensichtlich der „Triumphbogen“ in Boston, Museum of Fine Arts, Inv.-Nr. M 26.425; die höchste Nummer befindet sich auf dem Hamburger Blatt „Prunkvase vor antiker Architektur“, Inv.-Nr. 1915-642, „149“. Da bislang nur knapp 15 Nummern nachweisbar sind, ist von einer großen Verlustrate an Zeichnungen auszugehen.
9 Vgl. Hylton A. Thomas: The Drawings of Giovanni Battista Piranesi, London 1954, S. 46, bei Nr. 33.
10 Vgl. Fünfzig italienische Zeichungen des 16.-19. Jahrhunderts aus der Sammlung Ratjen, bearb. v. David Lachenmann, Ausst.-Kat. Vaduz, Liechtensteinische Staatliche Kunstsammlungen, Bern 1995, o. S., Nr. 45, Anm. 8. Für eine Datierung frühestens in die späten 1750er Jahre lässt sich mit Vorbehalt auch die Hamburger Zeichnung „Idea d’un atrio reale“ („Idee einer königlichen Vorhalle“) anführen (Inv.-Nr. 1915-640). Sie diente als Vorzeichnung für eine erst Anfang der 1760er Jahre in einer der Ausgaben der „Opere Varie di Architettura (…)“ nachweisbare Radierung. Vgl. Höper 1998, S. 323, Nr. 3.27. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Vorzeichnung bereits in montierter Form benutzt worden ist.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun über schwarzem Stift, braun laviert; wohl vom Künstler selbst montiert und mit einer Rahmung versehen; am rechten Rand und oben links grüne Verfärbungen 258mm x 183mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1915-638 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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