Jan Hackaert, Zeichner

Ortenstein und das Dorf Rothenbrunnen, um oder vor 1656

Diese 1915 inventarisierten Zeichnungen stammen aus dem Harzen-Vermächtnis, als Teil der in seinem Inventar erwähnten „40 Bl Schweitzer Landschaften, aus einem Studienbuche“. Sie stehen in enger Verbindung zu der ersten Zeichnungsfolge aus dem um 1800 zusammengestellten Hackaert-Album in Zürich: 15 der Hamburger Blätter lassen sich je einer der Zürcher Zeichnungen zuordnen.(Anm. 1) Bei grundsätzlich übereinstimmenden landschaftlichen Motiven sind die Hamburger Blätter trockener gezeichnet, sparsamer in Schraffur und Farbauftrag, weniger schwungvoll in der Konturenführung. Dies lässt sie auf den ersten Eindruck schwächer wirken. Gustav Solar hielt sie wohl aus diesem Grund für Kopien nach den Zürcher Blättern.(Anm. 2) Dagegen sprechen indes Abweichungen in Perspektive und Proportion, architektonischen Details, Staffagefiguren und stilistischer Ausführung. Zudem bestehen stilistische Querverbindungen zu gesicherten Hackaert-Zeichnungen der Zeit um 1656 – in diese Zeit werden auch die erwähnten Zürcher Zeichnungen angesetzt. So erinnert der gleichmäßig wolkige Strich zur Konturierung der Bäume an Blätter wie den „Hinterrhein mit Piz Visan“;(Anm. 3) die gestrichelten Umrisse finden sich auch auf Kat.-Nr. 407, und die straff umrissenen Architekturelemente wiederum gleichen Federzeichnungen wie der „Landschaft bei Martigny“ in Paris.(Anm. 4) Die kugeligen Bäume können auch auf einer Hackaert-Zeichnung in Weimar beobachtet werden.(Anm. 5)
Ein Großteil der Hamburger Skizzen wurde mit Rasterlinien versehen. Dies spricht für einen direkten Bezug zu den Zürcher Blättern im Sinne von Erstentwürfen. Die aus-gereiftere Formensprache der annähernd quadratischen Zürcher Zeichnungen ent-spräche ihrer Funktion als Reinzeichnungen.
Die Hamburger Studien sind auf schweizerischem und holländischen Papier gearbeitet (Inv.-Nrn. 1915-538, 1915-539, 1915-552, 1915-571) und größtenteils monogrammiert. Letzteres ist für sich genommen kein Indiz für Hackaerts Autorschaft (siehe Nr. A 5). Ein deutlicherer Hinweis auf Eigenhändigkeit ist jedoch die Übereinstimmung in der Schreibweise des Monogramms mit der einzigen signierten Zürcher Skizze (Blatt zwei des Zürcher Albums).
Eine genaue topographische Bestimmung der Motive konnte bislang nicht vorgenommen werden. Solar hält die Zürcher Zeichnungen für frei erfundene Landschaftscapriccios, die – unter Einbeziehung eigener Reiseeindrücke – die Themen „Berge“ und „Süden“ variieren.(Anm.6) Die Hamburger Studien hingegen scheinen sich stärker an den topographischen Vorgaben zu orientieren. Die auf Inv.-Nr. 1915-538 dargestellte Burg wird beispielsweise im RKD mit der Burg „Ortenstein“ identifiziert, auf dem Zürcher Pendant wurde sie hingegen zu einem beliebigen Gebäudetypus umgeformt. Ins Phantastische übersteigert wirken auch die Formationen von Mittelgrund und Ausblick auf Blatt zwei des Zürcher Albums im Vergleich mit den natürlicheren Formen der Hamburger Fassung (Inv.-Nr. 1915-545).
Blatt 9 des Zürcher Albums können gleich zwei Hamburger Skizzen zugeordnet werden (Inv.-Nr. 1915-542 und 1915-560). Inv.-Nr. 1915-542 wäre als knapper Erstentwurf zu verstehen, der auf der Zweitfassung Inv.-Nr. 1915-560 weiterentwickelt wurde. Hier näherte sich der Künstler bereits dem quadratischen Blattformat der Zürcher Fassung, und auch die Proportionen von Brücke und Felsen stimmen mit dieser überein, ebenso wie die Schlaufenkonturen zur Einfassung des Baumschlags. Auf der Zürcher Zeichnung sind die Hell-Dunkel-Kontraste noch mehr betont bei ebenfalls ausdrucksstärkerer Schraffur. Gleichzeitig entfernte sich der Künstler dort für die Architekturwiedergabe von den beiden Hamburger Blättern.
Die übrigen zehn Blätter ließen sich bislang keiner der Zürcher Zeichnungen zuordnen, was möglicherweise durch den Verlust entsprechender Werke zu erklären ist, denn auch diese Zeichnungen sind teilweise mit Graphit gerastert. Offensichtlich befanden sich entsprechende Zweitfassungen in Harzens Besitz – zumindest erwähnt sein Inventar zwölf mit den Skizzen­buchblättern in größerem Maßstab korrespondierende Federzeichnungen.(Anm. 7) Vermutlich schuf Hackaert zunächst eine umfangreiche Materialsammlung, bevor er einzelne Skizzen als Ausgangspunkte für weitere Kompositionen auswählte.

Annemarie Stefes

1 Zürich, Kunsthaus, Inv.-Nr. O 13; Gustav Solar: Conrad Meyer und Jan Hackaert. Feststellungen um einen Fund, in: Jahrbuch Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft 1974-1977, S. 29-76, S.67–68; zu der Datierung vgl. Solar, in: Gustav Solar: Alpenreise 1655. Conrad Meyer und Jan Hackaert, Ausst.-Kat. Zürich, Zentralbibliothek 1979, S. 47. Die entsprechenden Bezüge zu den Zürcher Exemplaren sind bei den Beschreibungen der einzelnen Hamburger Skizzenbuchblätter aufgeführt.
2 In einem Brief vom 8. 8. 1977; allerdings mit dem Hinweis, dass dies die ersten ihm bekannten Kopien nach der ersten Folge des Zürcher Hackaert-Albums wären. Hingegen könnte sich Bernhard von Waldkirch für die Hamburger Zeichnungen eine Funktion als Erstentwürfe durchaus vorstellen, E-Mail vom 17. 5. 2006.
3 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Atlas Van der Hem, Nr. 8:3, Stelling-Michaud 1937, Taf. 30.
4 Paris, Fondation Custodia, Inv.-Nr. 1795, Walther Bernt: Die niederländischen Maler und Zeichner des 17. Jahrhunderts, Bd. 4, Zeicher Aken-Koninck, München 1979, Nr. 282.
5 Klassik Stiftung Weimar, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. KK 2321.
6 Gustav Solar: Conrad Meyer und Jan Hackaert. Feststellungen um einen Fund, in: Jahrbuch Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft 1974-1977, S. 29-76, S. 67; Solar, in: Gustav Solar: Alpenreise 1655. Conrad Meyer und Jan Hackaert, Ausst.-Kat. Zürich, Zentralbibliothek 1979, S. 48.
7 HK, KK, A, NH Ad:01:02, fol. 27: „12 Bl aus obiger Folge, in vergrößertem Maasstabe ausgeführt mit Feder und Tusche. Unbezeichnet 4.0 bis 8 und 3.10 bis 4.10. Das Papierzeichen eines derselben zeigt das Baseler Wappen“. Diese Zeichnungen können heute nicht mehr identifiziert werden.



Mit dieser Zeichnung korrespondiert Blatt 1 des Zürcher Albums (113 x 104 mm), ohne Staffagefigur bei abweichender Architektur.

Details zu diesem Werk

Pinsel in Grau über Graphit, durch eine senkrechte und eine waagerechte Linie unterteilt (Graphit); Einfassungslinien (Graphit) 97mm x 119mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1915-538 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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