Karl Hermann Theodor Langer, Stecher
nach Nicola Ortis, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler
Angelo Biggi, Drucker
Pietro Brognoli, Verleger

Das Opfer Abrahams / Die Jakobsleiter / Der brennende Dornbusch / Gott befiehlt Noah den Weinbau, 1874

Francesco Aquilas vollständige Wiedergabe des komplexen Deckengewölbes der Stanza di Eliodoro aus dem Jahr 1722 blieb die Ausnahme (Inv.-Nr. 2020-28-9). In der Folgezeit wurden – wie es bereits zuvor geschehen war (Anm. 1) – die Bildfindungen Raffaels aus dem Gesamtgefüge herausgenommen. Zumeist handelte es sich um Einzeldarstellungen. (Anm. 2) Eine besondere Lösung bot 1874 Theodor Langer, der die vier zeltartigen Bildfelder mit den alttestamentarischen Szenen zwar voneinander losgelöst, aber in einem strengen Ordnungssystem auf einem Blatt vereinte. (Anm. 3) Diese Anordnung erweckt ob ihrer Regelmäßigkeit den Eindruck einer Dokumentation. Dieser Wahrnehmung entspricht die stecherische
Präzision Langers, der die Kunstwerke mit hervorragender Genauigkeit wiedergibt. Im Gesamteindruck wirken diese Reproduktionen eher kalt. Ihnen fehlt die individuelle Note des Interpreten, wie sie Reproduktionen von Volpato oder Morghen auszeichnen. Das starke Zurücknehmen der Persönlichkeit ist bei Langer allerdings Programm. Denn seine Wiedergabe erschien zu einem Zeitpunkt, in dem angesichts der immer leistungsstärkeren Fotografie dokumentarische Genauigkeit für die Reproduktionsgraphiker Pflicht war. (Anm. 4)

Langers Kupferstich ist Teil eines ambitionierten Unternehmens, das bislang in seiner Bedeutung innerhalb der Wirkungsgeschichte Raffaels nicht angemessen hervorgehoben wurde. (Anm. 5) 1874 gab der bislang
kaum greifbare Verleger Pietro de Brognoli eine umfangreiche Edition mit Reproduktionen nach Raffaels Fresken im Vatikan heraus. Sie umfasste nicht weniger als 38 großformatige Blätter nach den Stanzen und den Teppichen. Damit legte Brognoli knapp 150 Jahre nach Aquilas herausragender Serie wieder eine nahezu komplette Wiedergabe der Stanzen vor.

Selbstverständlich hatte das Projekt einen großen Vorlauf, da die detailgenaue Wiedergabe viel Zeit erforderte. Klugerweise verteilte Brognoli die Aufgaben auf viele Schultern, wobei die internationale Ausrichtung der namhaften Stecher auffällt. (Anm. 6) So finden sich neben vielen Italienern auch drei deutsche Graphiker unter den Ausführenden. Wie diese Verbindungen zustande kamen, ist nicht bekannt. Theodor Langer etwa war ein renommierter Kupferstecher, der bei Moritz Steinla und Julius Thaeter in Dresden gelernt hatte. Er war auf Reproduktionsgraphik spezialisiert, wobei er vornehmlich nach zeitgenössischen Freskenwerken – beispielsweise den Nibelungenfresken Schnorr von Carolsfelds in München – arbeitete. Ein konkreter Italien-Bezug ist nicht erkennbar und so mögen persönliche Beziehungen zur Auftragsvergabe geführt haben.

In der Regel griffen die Stecher auf Vorlagen zurück, die von versierten Zeichnern geliefert wurden. Manche Graphiker – so auch Theodor Langer – gaben von ihren Reproduktionen Remarquedrucke heraus, die durch das Fehlen der offiziellen Beschriftung bei Sammlern begehrt waren.

Auf welche Weise Brognoli sein Projekt finanzierte, ist noch unklar. Die zahlreichen Widmungen auf den Blättern lassen vermuten, dass wohlhabende Persönlichkeiten das Projekt mit Zuwendungen förderten. (Anm. 7)

Mit Brognolis umfassender Edition war die graphische Auseinandersetzung mit den Stanzen an einem Endpunkt angelangt. Nun lag für alle Kunstfreunde eine in ihrer Genauigkeit kaum zu überbietende Dokumentation dieser Meisterwerke vor. Die Reproduktionsgraphik konnte 1874, im Jahr der Veröffentlichung damit noch einmal einen großartigen Erfolg für sich verbuchen. Dies umso mehr, als die Fotografie damals noch nicht in der Lage war, die relativ kleinen und schlecht beleuchteten Stanzen in derartiger Klarheit aufzunehmen. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis dies möglich wurde.
David Klemm

LIT (Auswahl): Apell 1880, S. 226, Nr. 1; Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 52, Nr. V.10 ; vgl. Höper 2001, S. 404, Nr. F 12.5

1 Vgl. Höper 2001, S. 404.
2 Vgl. Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 52.
3 Interessanterweise gab Langer fast zeitgleich zusammen mit Ludwig Gruner zwei Szenen des Deckengewölbes heraus (Abrahams Opfer, Der Traum Jakobs); Die Zeichnungen stammen von Nicola Consoni (vgl. Inv.-Nr. 56956); vgl. Höper 2001, S. 405, Nr. F 12.6.2 und Nr. F 12.6.3.
4 Vgl. hierzu S. 34.
5 Für die sich wandelnde Wertschätzung steht beispielhaft, dass Karl F. Seiferts Ansicht der Südwand der Stanza della Segnatura im Hamburger Kupferstichkabinett (Inv.-Nr. 27017) zeitweilig mit einem Stempel als „Dritter Bestand“ eingestuft
wurde.
6 Beteiligt waren neben Theodor Langer auch Giovanni Buonafede, Giustino Carocci, Lucio Quirino Lelli, Tommaso di Lorenzo, Tullio Marucci, Michelangelo Martini, Nicola Moneta, Alessandro Porretti, Pasquale Proia, Filippo de Sanctis, Nicola Sangiorgi, Friedrich Seifert, Oswald Ufer; vgl. Höper 2001, S. 546. In der Hamburger Sammlung ist neben dem Blatt von Langer lediglich ein Stich von Ufer (Inv.-Nr. 27017) vorhanden.
7 So weist Langers Stich im vollendeten Zustand eine Widmung an den Großherzog Friedrich von Baden auf; vgl. Höper 2001, S. 404, Nr. F 12.5.

Details zu diesem Werk

Kupferstich 480mm x 746mm (Platte) 597mm x 810mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 17804h Sammlung: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback