Ludwig Gruner, Lithograph, Verleger
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder
und Giovanni Antonio Bazzi, gen. Sodoma, Maler, Erfinder

Ansicht des Deckenfreskos der Stanza della Segnatura, 1850

Die Decke der Stanza della Segnatura zählt zu den komplexesten Gestaltungen Raffaels. Als er spätestens 1509 mit deren Dekoration begann, fand er eine kleinteilige Gliederung und einige Malereien vor. Diese stammten teilweise aus der Zeit von Papst Nikolaus V. (reg. 1447–1455), dessen Wappen im Zentrum des Gewölbes erkennbar ist. Weitere Partien schuf unmittelbar vor Raffaels Ankunft der damals sehr anerkannte Freskant Giovanni Antonio Bazzi, gen. Sodoma. An den Ausmalungen hatte offenbar auch der aus Deutschland stammende Johannes Ruysch Anteil. (Anm. 1) Raffael arrangierte sich souverän mit den vorhandenen Bedingungen. Offenbar lehnte er eine komplette Zerstörung der bereits vorhandenen Arbeiten ab, setzte aber Änderungen in der Aufteilung des Gewölbes durch. (Anm. 2)

In ihrer jetzigen Form ist die Decke der Stanza della Segnatura in siebzehn Felder mit figürlichen Darstellungen unterteilt. Diese sind durch reiche Groteskenornamente voneinander getrennt. Es gibt acht trapezförmige Felder mit vier Szenen aus der römischen Geschichte und vier mythologischen Darstellungen. (Anm. 3) Von diesen relativ kleinteiligen Kompositionen heben sich die acht Werke Raffaels markant ab. Es handelt sich um die vier Tondi mit den Allegorien der Poesie, der Theologie, der Gerechtigkeit und der Philosophie (von oben im Uhrzeigersinn, Inv.-Nr. 3152r1). Mit diesen Darstellungen korrespondieren die vier in den Ecken platzierten Rechtecke, die Apollo und Marsyas (Poesie), Adam und Eva (Theologie, Inv.-Nr. 16053), das Urteil Salomos (Justitia, Inv.-Nr. 50018) und die Astronomie (Philosophie) zeigen. Zusätzlich zu den figürlichen Szenen gibt es zahlreiche dreieckige Felder, auf denen Eichenbäume, das Symbol des Auftraggebers Julius II. della Rovere (ital. Eiche) abgebildet sind.

Es ist unschwer vorstellbar, dass eine derart kleinteilige Vorlage für die Reproduktionsgraphiker eine besondere Herausforderung darstellte. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich denn auch nur sehr wenige Künstler an diese schwer lösbare Aufgabe gemacht. Hervorzuheben ist Francesco Aquila, der im Rahmen seiner großen Edition der Stanzen die wohl erste brauchbare Reproduktion lieferte. Diese entspricht in ihrer relativ nüchternen Ausführung fast schon einer wissenschaftlichen Dokumentation, wenn es nicht eine Reihe von kleineren Abweichungen gäbe.

Einen beachtlichen Qualitätssprung vollzieht dann Ludwig Gruner 1850 mit der Publikation einer lithographierten Gesamtansicht des Deckengewölbes. Diese Reproduktion ist Teil einer von Gruner 1850 in London herausgegebenen Folge Specimens of Ornamental Art, selected from the best models of the classical epochs. Dabei handelt es sich um eines der prächtigsten Ornamentwerke des 19. Jahrhunderts, in dem auf 80 großformatigen Tafeln sakrale und weltliche Ornamente in Details oder Gesamtansichten vorgestellt werden. (Anm. 4) Nicht weniger als 55 der von Emil Braun erläuterten Abbildungen sind in Farbe. Die Darstellung der Decke der Stanza della Segnatura bildet den Abschluss der Edition. (Anm. 5)

Gruners Wiedergabe des inhaltlich komplexen und im besten Sinne dekorativen Gewölbes beeindruckt mit ihrer Präzision, aber vor allem aufgrund ihrer Farbigkeit. Damit war ein wichtiger Schritt hin zu einer in jeder Hinsicht kompletten Reproduktion der Werke Raffaels vollzogen. Gruner wählte mit der Chromolithographie ein Verfahren, dass erst ein gutes Jahrzehnt zuvor von Engelmann in Frankreich zur Druckreife gebracht worden war. Auch wenn die Farben bisweilen allzu kräftig wirken, gebührt der insgesamt genauen Wiedergabe hohe Bewunderung. (Anm. 6) Diese Neugier in der Verwendung aktueller Drucktechniken ist typisch für Ludwig Gruner, der als einer der wichtigsten Vermittler der Kunst Raffaels im 19. Jahrhundert anzusehen ist (vgl. Inv.-Nr. kb-1863-85-523-8).
David Klemm

1 Frommel 2017, S. 16.
2 Ebd., S. 16.
3 Dussler 1966, S. 81.
4 In Anspruch und Ausstattung ist die Edition dem 1842 herausgebrachten Prachtwerk Plans of the Alhambra von Owen Jones und Jules Goury vergleichbar; vgl. Schneider-Henn 1997, o. S., Nr. 16.
5 Eine weitere Reproduktion nach Raffael zeigt eine Wiedergabe der sog. Stufetta des Kardinals Bibbiena im Vatikan (Tafel 79).
6 Vgl. Schneider-Henn 1997, o. S., Nr. 16.

Details zu diesem Werk

Chromolithographie 420mm x 370mm (Bild) 632mm x 508mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 17210d Sammlung: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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