Johann Friedrich Wilhelm (genannt Friedrich) Müller, Stecher, Zeichner, Verleger
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder

Adam und Eva, 1813

Einige Kompositionen Raffaels können angesichts des in den Stanzen gebotenen Reichtums an qualitätvoller Malerei leicht übersehen werden. Es gehört zu den Verdiensten der Reproduktionsgraphik, dass derartige Preziosen durch eine gesonderte Wiedergabe stärkere Aufmerksamkeit erfahren haben.

Ein Musterbeispiel hierfür ist die Darstellung von Adam und Eva im Gewölbe der Stanza della Segnatura. Diese Szene ist dort stärkster bildlicher Konkurrenz von den vier Fakultäten (Inv.-Nr. 3152r1) und drei anderen prägnanten Szenen wie etwa dem Urteil Salomos ausgesetzt (Inv.-Nr. 50018).

Raffael visualisierte den Sündenfall als ein sinnliches Erlebnis zweier schöner Menschen. (Anm.1) Anders als auf Albrecht Dürers berühmtem Kupferstich hat sich der sitzende Adam der neben ihm stehenden Eva zugewandt. Diese hat gerade die verbotene Frucht ergriffen. In Kürze wird sie mit ihren körperlichen Reizen und dem Apfel Adam zum folgenschweren Fehltritt bewegt haben. (Anm. 2)

Diese ungewöhnliche Komposition wurde offenbar einzig 1691 durch den nicht näher bekannten französischen Stecher Nicolas Bouquet als Einzelblatt reproduziert. (Anm. 3) Dies war der Ausgangspunkt für Johann Friedrich Wilhelm Müller, als dieser 1808 nach gründlicher Ausbildung bei seinem Vater Johann Gotthard Müller und in Paris bei Charles Clément Bervic nach Rom kam. Sein vordringliches Ziel war es, sich dort intensiv auf die Hauptaufgabe seines Lebens, die Reproduktion der Sixtinischen Madonna vorzubereiten (Inv.-Nr. 45237). Er wollte Raffaels Geist und Kunst dort studieren, wo sich die Mehrzahl seiner Werke befindet. Offenbar muss Müller dabei die Darstellung des Sündenfalls derart fasziniert haben, dass er eine Reproduktion davon in Angriff nahm. Er tat dies ohne konkreten Auftrag, was im Werk des Graphikers eine Ausnahme darstellt.

Ungewöhnlich war für Müller auch, dass er nicht nach einem Gemälde, sondern nach einem Fresko arbeitete. Dabei war erschwerend, dass der Künstler aufgrund der Höhe des Gewölbes keine intensiven Detailstudien anfertigen konnte. Müller isolierte das Bildfeld wie ein Galeriegemälde. In der Bildunterschrift wird der originale Zusammenhang nur angedeutet und mit dem Wort „Wandgemälde“ etwas ungenau beschrieben. Müller legte die Graphik zunächst als Umrissradierung an, um sie dann kontinuierlich mit dem Grabstichel auszuarbeiten. Dabei sind manche Details für Müller eher ungewöhnlich ausgefallen. Anders als bei seiner Wiedergabe der Sixtinischen Madonna beließ er etwa zwischen den Linien bisweilen viel Raum. Zur Helligkeit des Blattes trug auch bei, dass viele Lichtzonen der Figuren keine Behandlung erhielten. Um dennoch den Eindruck von Plastizität und Volumina zu erzielen, akzentuierte Müller die stark beleuchteten Muskeln mit kurzen, feinen Strichlagen. (Anm. 4)

In Raffaels Komposition sind die Figuren stark konturbetont. Sie heben sich deutlich vom goldfarbenen Fond und dem dunklen Grund aus Vegetation und Bank ab. Müller versuchte bei seiner Wiedergabe die daraus sich ergebenen Kontraste etwas abzufedern, indem er Teile der Hautpartien mit kurzen Strichen versah.

Die Fertigstellung der Reproduktion war langwierig, Müller selbst war offenbar mit dem Resultat nicht zufrieden. Noch vor der Fertigstellung 1813 versuchte er, die Platte beim renommierten Verleger Frauenholz in Nürnberg unterzubringen. Doch es kam nur zu einer Kooperation, so dass Müller die Reproduktion letztlich selbst auf den Markt brachte. (Anm. 5) Der vorliegende Druck weist eine Widmung an den Kronprinzen Wilhelm von Württemberg auf, von dem Müller bereits um 1806 ein Porträt gestochen hatte. (Anm. 6)
David Klemm

LIT (Auswahl): Andresen 1865, S. 33, Nr. 9 V; Apell 1880, S. 303 Nr. 1 VI; Rümelin 2000, S. 70–72; S. 227, Nr. 58 VI (mit älterer Lit.)

1 Vgl. Grimm 1886, S. 372.
2 Die Figur der Eva erinnert vor allem mit ihrer Beinstellung auffallend an Leonardos Entwurf einer stehenden Leda. Diese hatte Raffael während seines Florenzaufenthaltes in einer Zeichnung kopiert; vgl. hierzu Buck/Hohenstatt 2013, S. 47.
3 Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 44, Nr. VI.20. Darüber hinaus war die Szene innerhalb der Gesamtdarstellung des Gewölbes von Francesco Aquila 1722 wiedergegeben worden.
4 Rümelin 2000, S. 71.
5 Ebd. S. 70. Der auf dem Blatt befindliche Trockenstempel „EBNER“ könnte auf die Augsburger Kunsthandlung Ebner hindeute, die möglicherweise die Reproduktion Müllers im Sortiment hatte.
6 Vgl. Rümelin 2000, S. 226, Nr. 56. Eine Ableitung der Verszeilen unterhalb der Darstellung des Sündenfalls ist bislang nicht bekannt.

Details zu diesem Werk

Kupferstich und Radierung 309mm x 267mm (Bild) 400mm x 302mm (Platte) 440mm x 333mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 16053 Sammlung: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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