Christian Gottfried Schultze, Stecher
nach Crescentius Jacob Seydelmann, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder

Sixtinische Madonna, wohl nach 1783

Nachdem Raffaels Sixtinische Madonna (Anm. 1) 1754 für die Dresdener Gemäldesammlung erworben worden war, begann die bildliche Verbreitung des Motivs über die Reproduktionsgraphik, die maßgeblich für den Ruhm des Bildes und seine Rezeption verantwortlich war. Allerdings dauerte es einige Jahrzehnte, bis erstmals eine vollständige Wiedergabe erschien. Dabei handelt es sich um einen großformatigen Kupferstich von Christian Gottfried Schultze nach einer verlorenen Vorzeichnung von Crescentius Seydelmann. Seit 1783 war Schultze in Dresden als Kupferstecher am sächsischen Hof tätig und für die Reproduktionen der Gemälde, die als Dresdener Galeriewerk in mehreren Bänden veröffentlicht wurden, verantwortlich. Die Wiedergabe der Sixtinischen Madonna war als letztes Blatt des dritten Bandes geplant, jedoch kam dessen Drucklegung zunächst nicht zustande. (Anm. 2) Schultzes wohl in den 1780er Jahren fertiggestellte Reproduktion (Anm. 3) wurde aber einzeln verkauft, was für die Wirkungsgeschichte des Bildes vor allem in der Zeit um 1800 wichtig war. Das geplante Galeriewerk wurde dann 1870 doch noch fortgesetzt. Dass Schultzes Sixtinische Madonna dort nun den Auftakt bildete, belegt die sich inzwischen gewandelte Wertschätzung des Bildes. (Anm. 4)
Charakteristisch für Schultzes Werk ist die große Genauigkeit der Wiedergabe, wobei er sich in einzelnen Partien – etwa bei den himmlischen Wesen und den Wolken – vereinfachende Änderungen erlaubte.
Schultze verwendete eine Mischtechnik aus Kupferstich und Radierung, wobei Umrisse und Details mittels Hauptlinien akzentuiert sind. (Anm. 5) Im Vergleich zu der später maßgeblichen Reproduktion von Friedrich Müller (Inv.-Nr. 45237) ist Schultzes Blatt heller und weniger kontrastreich.
Mit der Sixtinischen Madonna schuf Raffael um 1512 einen Höhepunkt seines römischen OEuvres und eine völlig neue Bildkomposition. (Anm. 6) Wie schon im kurz zuvor entstandenen Schwesterbild, der Madonna di Foligno, (Anm. 7) verzichtete er auf die klassische Anordnung der Figuren als sog. Sacra Conversazione mit der im Zentrum thronenden Madonna mit dem Kind auf dem Schoß umringt von Heiligen. Stattdessen gelang es ihm, die himmlische Erscheinung der Madonna sichtbar zu machen und das Bild als eine Vision für den Betrachter zu gestalten. Und so schreitet die Madonna aus den Weiten des Himmels, um das Jesuskind auf die Erde zu tragen. Im Himmelblau sind die Engelsköpfe, die eine Gloriole um die Gottesmutter bilden, nur zart angedeutet. Die beiden knienden Heiligen zu ihrer Seite – Sixtus, der Patron der Kirche, und Barbara mit dem Turm als Attribut – betonen die Herausgehobenheit der Madonna. (Anm. 8) Raffael ordnete die Heiligenfiguren und die Gottesmutter so an, dass sie in ein Dreieck eingeschrieben sind. Besonderes Augenmerk legte er jedoch auf die Beziehung zwischen Mutter und Kind. Das Wissen um die Passion, die der Sohn Gottes auf sich nehmen wird, spiegelt sich in ihren ernsten Gesichtszügen wider. Da auf dem Lettner der Kirche San Sisto in Piacenza, wo das Leinwandbild spätestens seit 1514 aufgestellt war (und dort beinahe 240 Jahre mehr oder weniger unbeachtet blieb) wohl ein Kreuz aufgestellt war, könnten ihre Augen unmittelbar auf das Leiden Christi gerichtet gewesen sein.
Relativ spät malte Raffael die beiden Engelchen am unteren Bildrand auf die Brüstung. Ursprünglich hatte er an dieser Stelle Wolken vorgesehen, entschied sich dann jedoch im Verlauf des Malprozesses für die beiden Engel, um die Komposition optisch zusammenzuführen. Ihr Warten ist wohl zudem auf die Messfeier bezogen, denn sie tragen gewissermaßen die verwandelte Hostie in den Himmel.
Auffallend ist das Fehlen der durchgebogenen Vorhangstange im Stich Schultzes. Erst durch eine Restaurierung des Bildes 1826 wurde sie wieder freigelegt, nachdem der obere Rand der Leinwand schonin Piacenza umgeschlagen worden war.
Sandra Pisot

LIT (Auswahl): Nagler 18 (1848), S. 54, Nr. 14; Putscher 1955, S. 279–280; Höper
2001, S. 313, Nr. D 34.1 (mit älterer Lit.); Ausst.-Kat. Dresden 2012, S. 233, Nr. 60
(Beitrag Claudia Schnitzer)

1 1512/13, Öl auf Leinwand, 269,5 x 201 cm, Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden; vgl. Meyer zur Capellen 2005, S. 107–116, Nr. 53.
2 Vgl. Kemmer 2007, S. 19.
3 Die Datierung der Druckgraphik ist offenbar nicht gesichert. Die Angaben in der Literatur schwanken. Häufiger wird als Entstehungsjahr „1780“ genannt, ohne dass dafür ein stichhaltiger Beleg vorliegt; vgl. z. B. Putscher 1955, S. 281. Sie nimmt an, dass ein derart wichtiger Auftrag eher an einen erfahrenen Stecher gegangen sein dürfte; von daher schlug sie „um 1780“ vor. Denkbar erscheint auch, dass Schultze das Blatt nach seinem Arbeitsbeginn am Sächsischen Hof ausführte. Dann wäre eine Fertigstellung in den späten 1780er Jahren vorstellbar.
4 Vgl. Putscher 1955, S. 279–280.
5 Vgl. Rümelin 2000, S. 68–69.
6 Es haben sich keine Dokumente zur Entstehung der Sixtinischen Madonna erhalten. Die Indizien lassen jedoch annehmen, dass der Auftrag von Papst Julius II. kam. Dessen Pontifikat (1503–1513) war geprägt durch ein groß angelegtes Mäzenatentum sowie das Bemühen, gegen die Expansionspolitik des französischen Königs Ludwig XII. in Italien vorzugehen, die verlorenen Gebiete zurückzuerobern und den Kirchenstaat zu verteidigen. Mit Hilfe der Schweizer Truppen gelang ihm dies im Frühsommer 1512. Als Folge schloss sich Piacenza Ende Juni 1512 dem Kirchenstaat an. Dieser Beitritt wird als Beweggrund für die bei Raffael in Auftrag gegebene Sixtinische Madonna gewertet, denn der Papst wollte wohl mit dem für den Hochaltar von San Sisto in Piacenza gestifteten Gemälde seine Dankbarkeit und Verbundenheit mit der Stadt zum Ausdruck bringen; siehe Schmidt 2011, S. 37–39.
7 511/12, Öl auf Holz auf Leinwand übertragen, 301,5 x 198,5 cm, Musei Vaticani, Città del Vaticano; vgl. Meyer zur Capellen 2005, S. 98–106, Nr. 52.
8 Die Reliquien der beiden Heiligen wurden seit der Gründung des Klosters im
9. Jahrhundert am Hauptaltar von San Sisto verehrt.

Details zu diesem Werk

Kupferstich, Radierung, Nadelschrift 625mm x 476mm (Bild) 693mm x 523mm (Platte) 701mm x 528mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 15106 Sammlung: KK Druckgraphik, Deutschland, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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