Wenzel Hollar, Radierer
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, ehemals zugeschrieben, Maler, Erfinder
nach Anonym (17. Jahrhundert), (?), Maler, Erfinder
Frans van den Wyngaerde, Verleger

Bildnis Raffaels mit Vorhang und Blick auf eine Landschaft, 1651

Wie zahlreiche Stecher vor und nach ihm bemühte sich auch Wenzel Hollar mit der vorliegenden Radierung ein möglichst authentisches Bildnis des verehrten Urbinaten vorzulegen. Aus der Bezeichnung geht hervor, dass sie 1651 nach einem angeblichen Selbstbildnis Raffaels entstand. Hollar setzt das Brustportrait des Künstlers im Dreiviertelprofil vor einen Vorhang, welcher den Blick auf eine Landschaft mit Bäumen in der linken Bildhälfte freigibt. Raffael befindet sich hinter einem Parapetto, auf welchem er seinen rechten Arm ablegt: quasi-illusionistisch scheinen die Finger seiner rechten Hand, welche einen Schatten auf den durch das weiße Blatt entstehenden Rahmen werfen, über den Bildraum hinaus in den Raum der Betrachtenden hineinzuragen. Auch die differenzierte Ausarbeitung von Licht und Schatten, Faltenwurf und plastischen Gesichtszügen lassen das Bildnis trotz des an sich unfarbigen Geflechtes aus Linien nahezu lebendig erscheinen und aus dem Blatt heraustreten. Auf geschickte Weise gibt Wenzel Hollar hier einen Eindruck seiner technischen und kompositorischen Fähigkeiten, verbunden mit der Demonstration des Vermögens der Radierung als eigenständige künstlerische Gattung.
Obgleich kein dieser Darstellung exakt entsprechendes Selbstbildnis des Urbinaten bekannt ist, sind Bezüge zu verschiedenen seiner Werke erkennbar. Körperhaltung, Haartracht, Kleidung und der Gesichtsausdruck lehnen sich – wenn auch seitenverkehrt – an das Selbstbildnis mit einem Freund an, welches sich heute in der Sammlung des Louvre befindet (Inv-Nr. R-00042). Darüber hinaus scheint Hollar den in jenem Gemälde nach vorn zu den Betrachtenden hin ausgestreckten rechten Arm des Freundes bzw. der zweiten Person im Bild hier zu Raffaels eigenem, ebenso ausgestreckten rechten Arm umgeformt zu haben. Der Ausblick auf eine Landschaft im Hintergrund erinnert außerdem an das heute verschollene Bildnis eines jungen Mannes (sog. Czartoryski-Portrait; Inv-Nr. R-00014) von der Hand des Künstlers, welches sich bis 1945 in Krakau befand.
Innerhalb der Serie von Raffael-Bildnissen, welche seit dem 16.Jahrhundert entstanden, steht die vorliegende Radierung, welche den reiferen Künstler mit Bart zeigt, noch deutlich vor dem Bestreben vor allem des 19. Jahrhunderts, ihn jugendlich und idealisierend darzustellen – Aspekte, welche besonders nach der Erstveröffentlichung einer Reproduktion des Selbstbildnisses aus den Uffizien (vgl. Inv-Nr. 63449) im Jahr 1752 die folgenden Raffael-Darstellungen prägen sollten. (Anm. 1) Hollars Radierung erscheint darüber hinaus Giulio Bonasones Bildnis Raffaels (Inv.-Nr. 592) sehr verwandt. Ein weiteres Beispiel für die frühe Rezeption und Verbreitung des bärtigen Bildnistypus ist außerdem ein Tondo mit einer solchen Raffaeldarstellung in der unter der Leitung Giulio Romanos ausgeführten Deckenausmalung eines Zimmers der Villa Lante al Gianicolo, welches seinerseits im Medium der Druckgraphik in der 1844 erschienenen Publikation Ludwig Gruners Fresco Decorations and Stuccoes of Churches and Palaces in Italy abgebildet wurde. (Anm. 2)
Der in Prag geborene, später auch in London und Amsterdam tätige Wenzel Hollar hinterließ ein Œuvre von insgesamt mehr als 2.500 Drucken. (Anm.3) Dabei handelt es sich um wissenschaftliche Buchillustrationen, aber auch um Karten, Veduten und Stadtansichten. (Anm. 4) Die vorliegende Radierung mit einem explizit künstlerischen Thema scheint eher eine Ausnahme innerhalb seines Œuvres darzustellen.
Klara Wagner

LIT (Auswahl): Hollstein 1996.78.1050 II (von II)

1 Pfisterer 2019, S. 324.
2 Die Decke wird von insgesamt vier Tondi mit männlichen Bildnissen geschmückt, welche neben Raffael auch möglicherweise Giovanni Boccaccio und Dante Alighieri sowie einen weiteren Mann (möglicherweise Pietro Perugino?) zeigen. Die erwähnte Publikation Gruners befindet sich im Bestand der Hamburger Kunsthalle; Inv.-Nr. kb-1907-30-23.
3 Turner 2012, S. 268–269. 4 Ebd., S. 269: In der Forschung wird er daher häufig mit Jacob Hoefnagel und Matthäus Merian in Verbindung gebracht.

Details zu diesem Werk

Radierung 232mm x 169mm (Bild) 253mm x 180mm (Platte) 284mm x 211mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 13401 Sammlung: KK Druckgraphik, Deutschland, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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